Das OLG Stuttgart hat sich in einem Urteil vom 18.03.2025 (Az. 10 U 107/24) mit der Frage auseinandergesetzt, wie weit Erklärungen einer anwaltlich vertretenen Partei ausgelegt werden dürfen, wenn mehrere Gestaltungsrechte im Raum stehen.
Zum Hintergrund: Nach dem BGB steht Verbrauchern bei bestimmten Vertragsarten ein 14tägiges Widerrufsrecht zu. Um das Widerrufsrecht auszuüben, muss der Verbraucher den Widerruf gegenüber dem Unternehmer erklären. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten (§ 355 Abs. 1 BGB).
In der Rechtsprechung ist insoweit anerkannt, dass der Verbraucher das Wort „Widerruf“ hierbei nicht ausdrücklich verwenden muss.
In dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall hatte jedoch ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten die „fristlose Kündigung“ eines Architektenvertrages erklärt.
In dieser Konstellation ging das OLG Stuttgart nicht von einem Widerruf aus. Denn fristlose Kündigung und Widerruf haben unterschiedliche Rechtswirkungen, die einem Anwalt bekannt sein müssen.
Aus den Entscheidungsgründen:
„Entgegen der Auffassung des Beklagten kann die von seinem anwaltlichen Vertreter mit Schreiben vom 29.04.2021 (Anlage K6) ausgesprochene fristlose Kündigung des Architektenvertrages nicht als Widerruf im Sinne von § 355 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB ausgelegt werden.
Nach § 355 Abs. 1 Satz 3 BGB muss sich aus einer Erklärung, die der Verbraucher als Widerruf verstanden wissen will, sein Entschluss zum Widerruf des Vertrages eindeutig ergeben. Freilich muss der Verbraucher das Wort „widerrufen“ nicht verwenden; vielmehr genügt es, wenn er deutlich zum Ausdruck bringt, er wolle den Vertrag von Anfang an nicht gelten lassen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 – I ZR 198/15 -, Rn. 42 – Hervorhebung nur hier); die Umstände des Einzelfalls können daher ergeben, dass die Erklärung eines „Rücktritts“ als Widerruf auszulegen ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 – I ZR 198/15 -, Rn. 42, juris zur Rechtslage vor Einführung von § 355 Abs. 1 Satz 3 BGB); gleiches kann gelten, wenn der Verbraucher den Abschluss eines Vertrages negiert (Senat, Urteil vom 17. Juli 2018 – 10 U 143/17 -, Rn. 44).
Wird hingegen die Kündigung eines Vertrags mit Dauerschuld- oder Langzeitcharakter – wie der streitgegenständliche Architektenvertrag – erklärt, kann diese Erklärung nicht ohne Weiteres als Widerruf in diesem Sinne verstanden werden, zumal die Kündigung im Falle ihrer Wirksamkeit das Vertragsverhältnis ex nunc beendet und nicht – wie ein Widerrufsrecht – von Anfang aufhebt (unklar: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Oktober 2007 – I-24 U 75/07 -, Rn. 9, juris für die „Kündigung“ eines „Freundschaftsvermittlungsvertrags“).
Jedenfalls in Fallgestaltungen, in denen die Vertragskündigung durch einen juristischen Fachmann (hier: der anwaltliche Vertreter des Beklagten) ausgesprochen wird, kommt eine Auslegung dieser Erklärung als „Widerruf“ in der Regel nicht in Betracht. Denn verwendet ein solcher einen juristischen Fachausdruck wie den der „fristlosen Kündigung“, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass er diesen im Sinne des einschlägigen, von Wissenschaft und Praxis geprägten Sprachgebrauchs verstanden wissen will (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 26. Februar 2016 – 8 U 218/14 -, Rn. 78 m.w.N., juris); dabei darf der Erklärungsempfänger davon ausgehen, dass einem Volljuristen der Unterschied zwischen einer Kündigung, die das Vertragsverhältnis ex nunc beendet, und dem Widerruf einer auf Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung, die zum vollständigen Fortfall der vertraglichen Bindung führt, geläufig ist. Anhaltspunkte dafür, dass dies im Streitfall anders war oder der Beklagtenvertreter mit seinem vorgerichtlichen Schreiben vom 29.04.2021 aus der Sicht eines vernünftigen Erklärungsempfängers, §§ 133, 157 BGB, (auch) einen Widerruf eines Verbrauchervertrages für den Beklagten erklären wollte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Gegenteil werden dem Kläger in dem Schreiben vom 29.04.2021 zahlreiche Vertragswidrigkeiten vorgeworfen, infolge derer nach Auffassung des Beklagtenvertreters eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem Beklagten nicht zumutbar sei, und deshalb die fristlose Kündigung erklärt. Damit werden die tatbestandlichen Anforderungen einer außerordentlichen Kündigung nach § 648a BGB vorgetragen; hingegen ist über die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Verbrauchergeschäfts nach § 312b BGB oder § 312c BGB nichts zu lesen. Dies hätte indessen zu erwarten gestanden, hätte der Beklagtenvertreter – wie nunmehr von der Berufung geltend gemacht – (auch) einen Widerruf für den Beklagten – erklären wollen.“
(OLG Stuttgart, Urteil vom 18.03.2025 – Az. 10 U 107/24)
