Was ist ein Schneeballsystem?
Unter einem Schneeballsystem versteht man ein Anlagemodell, welches so konzipiert ist, dass die den Anlegern versprochene Rendite nicht aus den Erträgen des Anlageobjekts, sondern aus den Einlagen weiterer Anleger bedient werden wird (vgl. BGH, Urteil vom 4.2.2021 – III ZR 7/20).
Oder vereinfacht gesagt: Bei einem Schneeballsystem stellt die immer neue Beschaffung von Anlegerkapital die einzige nennenswerte Einnahmequelle dar (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.2024 – III ZR 421/23).
Sind Schneeballsysteme legal?
Schneeballsysteme werden von der Rechtsprechung regelmäßig als sittenwidrig und damit als nichtig angesehen (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.1997 – XI ZR 191/96; OLG München, Urteil vom 12.09.1985 – 5 U 4430/85; OLG Celle, Urteil vom 20.03.1996 – 13 U 146/95; LG Verden, Urteil vom 18.06.1997 – 2 S 103/97; LG Gießen, Urteil vom 13.12.1995 – 1 S 390/95).
„Gewinnspiele, die nach dem “Schneeballprinzip” darauf angelegt sind, daß die große Masse der Teilnehmer ihren Einsatz verlieren muß, sind wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig.“
(BGH, Urteil vom 22.04.1997 – XI ZR 191/96)
Sehr aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen des OLG München in einer Entscheidung aus dem Jahr 1985:
„Daß das Schneeballsystem als System der progressiven Kundenwerbung von der Rechtsordnung mißbilligt und in ständiger Rechtsprechung als sittenwidrig gemäß § 138 BGB bezeichnet wird, bestreitet die Beklagte selbst nicht (…). Das System ist irreführend und zielt darauf ab, Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit auszunutzen. Die Kundenzahl wächst nach dem Prinzip der geometrischen Reihe an; dies führt nach einer gewissen Zeit zu einer so erheblichen Anzahl von Kunden, daß die Werbung weiterer Kunden überaus erschwert und schließlich unmöglich wird (…). Insbesondere in ländlichen Bezirken, in kleinen oder mittelgroßen Städten, in denen der Markt für die von der Beklagten vertriebenen Waren im Hinblick auf die stattlichen Preise ohnehin nicht sehr groß ist, ergibt sich innerhalb absehbarer Zeit sowohl bezüglich des Warenverkaufs wie auch im Auffinden neuer Mitarbeiter eine Marktverengung, die die Werbung weiterer Franchise-Nehmer immer schwieriger und schließlich gänzlich unmöglich macht. Zutreffend führt v. Bubnoff aus: „Laien, die das Werbe- und Vertriebssystem mit seinen Risiken und Konsequenzen nicht überschauen, werden durch psychologische Beeinflussung mittels Vorteilsversprechung, durch Irreführung über die Günstigkeit des Angebots und über die Werbechancen sowie ihre Realisierung bzw. unter Einsatz aleatorischer Reizmittel zur Eingehung rechtlicher Verpflichtungen mit oft hohem Einsatz veranlaßt und dazu gebracht, sich unter Überschätzung ihrer eigenen Werbemöglichkeiten in eine Vertriebsorganisation als „Multiplikator” einspannen zu lassen. Zu diesen Gesichtspunkten einer Irreführung und Vermögensgefährdung der als Werber eingesetzten Kunden tritt das Moment einer unerwünschten Kommerzialisierung privater Beziehungen, d. h. einer unangemessenen Ausnutzung persönlicher Verbindungen von Laien zwecks Absatz von Waren und Leistungen. Diese sich aus dem Wesen der progressiven Kundenwerbung ergebenden Gefahren lassen eine solche Art der Anwerbung von Nichtkaufleuten als sozialschädlich erscheinen und begründen ein strafrechtliches Schutzbedürfnis”
(OLG München, Urteil vom 12.09.1985 – 5 U 4430/85)
Darüber hinaus sind Schneeballsysteme auch unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten verboten und auch strafbewehrt (vgl. § 16 Abs. 2 UWG).
Welche Ansprüche bestehen gegen die Betreiber eines Schneeballsystems?
Liegt nach einer Gesamtwürdigung ein sittenwidriges (nichtiges) Schneeballsystem vor, so können die Zahlungen an den Betreiber als ungerechtfertigte Bereicherung gemäß gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB zurückgefordert werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Geschädigte die Schneeballkonzeption nicht kannte bzw. kennen musste.
Wird der Charakter des Schneeballsystems gegenüber den Geschädigten verschwiegen, so liegen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig sowohl die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB als auch diejenigen eines Eingehungsbetrugs gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB und ggf. eines Kapitalanlagebetrugs nach § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB vor (vgl. BGH, Urteil vom 06.03.2025 – III ZR 137/24; BGH, Urteil vom 4.2.2021 – III ZR 7/20).
Dem Geschädigten stehen dann dann nicht nur Bereicherungsansprüche, sondern auch entsprechende Schadensersatzansprüche zu.
Muss sich der Geschädigte eines Schneeballsystems ein „Mitverschulden“ anrechnen lassen?
Mitunter wird Geschädigten eines Schneeballsystems entgegengehalten, dass diese ihre gezahlten Einsätze trotz Nichtigkeit wegen § 817 Satz 2 BGB nicht zurückverlangen können. Die Vorschrift lautet:
„§ 817 Verstoß gegen Gesetz oder gute Sitten
War der Zweck einer Leistung in der Art bestimmt, dass der Empfänger durch die Annahme gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat, so ist der Empfänger zur Herausgabe verpflichtet. Die Rückforderung ist ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last fällt, es sei denn, dass die Leistung in der Eingehung einer Verbindlichkeit bestand; das zur Erfüllung einer solchen Verbindlichkeit Geleistete kann nicht zurückgefordert werden.“
Das OLG Celle entschied im Jahr 1996, dass eine Rückforderung wegen § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen ist, wenn der Geschädigte den Charakter des Schneeballsystems kannte. Auch ein Schadensersatzanspruch sei in diesem Fall nicht gegeben (OLG Celle, Urteil vom 20.03.1996 – 13 U 146/95).
Ähnlich entschied 2004 das LG Bonn:
„Der dem Grunde nach gem. § 812 I 1 Alt. 1 BGB gerechtfertigte Rückzahlungsanspruch der Klägerin ist gem. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen.
(…)
Der Bereicherungsanspruch der Klägerin scheitert jedoch an § 817 S. 2 BGB. Hiernach ist dem Leistenden das Recht zur Rückforderung verwehrt, wenn er mit seiner Leistung gleichfalls gegen die guten Sitten verstoßen hat. § 817 S. 2 BGB stellt nach seinem Wortlaut allein auf einen objektiven Verstoß gegen die guten Sitten ab, ohne weder bei dem Empfänger noch bei dem Geber auf deren Bewusstseinslage, das heißt ihre Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis der objektiven Sittenwidrigkeit abzustellen. Nach der Rechtsprechung ist für die Anwendbarkeit des Rückforderungsausschlusses gem. § 817 S. 2 BGB ausreichend, dass sich der Leistende leichtfertig der Einsicht der Sittenwidrigkeit seines Tuns verschlossen hat (…).
Die Kl. hatte zwischen der Erläuterung des Spieles und der Zahlung ihres Einsatzes genügend Zeit, um sich über den Inhalt und die Auswirkungen des Spielsystems Gedanken zu machen. Da sie sich dennoch zur Teilnahme entschlossen hat, hat sie leichtfertig die Augen vor der Sittenwidrigkeit des Spielsystems verschlossen. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang die Kl. gemäß der durch den Beklagten unter Beweis gestellten Behauptung über die Systematik des Schenkkreises und seine Risiken unterrichtet worden ist. Der Klägerin ist die Systematik des Gewinnspiels unstreitig bei einer Abendveranstaltung im Hotel in einem zeitlichen Abstand vor der Leistung ihres Einsatzes erläutert worden. Sie hatte bereits bei der Veranstaltung Gelegenheit, sich über die Einzelheiten des Spiels zu informieren. Ferner bestand für die Klägerin auch die Möglichkeit, sich bei ihrem Sohn oder der Zeugin I nach dem Ablauf und den Risiken des Spiels zu erkundigen. Dass sie der Moderation nach ihrem eigenen Bekunden in der mündlichen Verhandlung nicht gefolgt ist und sie sich auch keine weiteren Gedanken zum Ablauf des Spieles gemacht hat, geht allein zu ihren Lasten und kann nicht dem Beklagten entgegengehalten werden. Die Klägerin wusste, dass sie für den nicht unerheblichen Betrag von 5000 Euro zunächst nur die Möglichkeit erhalten sollte, am Spiel teilzunehmen. Ihr war auch bewusst, dass ihr Spielerfolg davon abhängig war, dass sie weitere Teilnehmer für den Schenkkreis fand. Der Klägerin musste sich – insbesondere als es ihr nicht gelang, neue Teilnehmer für den Schenkkreis zu finden – fragen, welche Teilnehmer in Folge Schenkungen an sie leisten sollten. Hier mussten an sich jedem, bei nüchterner und von eigener Gewinnsucht nicht getrübter Betrachtung die Erkenntnis aufdrängen, dass ein derartiges Spielsystem einen immer größer werdenden Kreis von neuen Teilnehmern benötigte. Wenn keine Teilnehmer mehr nachrücken, führt dies zum Zusammenbruch des Spielsystems. Das Verwerfliche des Spiels ergibt sich insbesondere aus in der für die später in das System Eingestiegenen bestehenden Verlustgefahr.“
(LG Bonn, Urteil vom 14.07.2004 – 2 O 30/04)
Dagegen spricht jedoch eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2005, wonach die Regelung des § 817 Satz 2 BGB im Falle eines sittenwidrigen Schneeballsystems ausnahmsweise nicht anwendbar sein soll:
„Der Bereicherungsanspruch scheitert entgegen der Annahme der Revision nicht an § 817 S. 2 BGB. Danach ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Gesetz- oder Sittenverstoß zur Last fällt. Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, es spreche zwar einiges dafür, dass der Kläger sich der Sittenwidrigkeit der Spielanlage bewusst gewesen sei oder sich zumindest dieser Einsicht leichtfertig verschlossen habe. Mit der Zahlung an die Beklagte habe er indes nicht unmittelbar sittenwidrige Ziele verfolgt; er sei in dieser Phase des „Spiels” passiv gewesen. Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen.
Dem Berufungsgericht ist jedenfalls darin zuzustimmen, dass der Grund und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion (§ 138 I BGB) hier – ausnahmsweise – gegen eine Kondiktionssperre gem. § 817 S. 2 BGB sprechen (…).“
(BGH, Urteil vom 10.11.2005 – III ZR 72/05)
Eine entsprechende Kenntnis des Geschädigten kann im Übrigen nach Ansicht des LG Verden nicht angenommen werden, wenn der Betreiber des Schneeballsystems dieses als rechtmäßig verteidigt (LG Verden, Urteil vom 18. Juni 1997 – 2 S 103/97).
Gegen wen richten sich Schadensersatzansprüche?
Schadensersatzansprüche können sich gegen die Betreiber eines Schneeballsystems richten. Dazu können nach einer Entscheidung des LG Gießen auch solche Personen zählen, die das Schneeballsystem als Redner auf Werbeveranstaltungen fördern, diese haften dann aufgrund einer mittäterschaftlich begangenen unerlaubten Handlung als Gesamtschuldner (LG Gießen, Urteil vom 13.12.1995 – 1 S 390/95).
Die Gehilfenhaftung richtet sich insoweit nach strafrechtlichen Grundsätzen (BGH, Urteil vom 12.12.2024 – III ZR 421/23).
Wer trägt die Beweislast für das Vorliegen eines Schneeballsystems?
Der Geschädigte, der Ansprüche gegen die Betreiber eines Schneeballsystems geltend macht, trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Schneeballsystem vorliegt.
Allerdings kommen dem Geschädigten insoweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Beweiserleichterungen zu Gute.
„Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dadurch, dass er Umstände vorträgt, die das (weitere) Betreiben eines solchen „Schneeballsystems“ als naheliegend erscheinen lassen. Den Gegner trifft in solchen Fällen eine sekundäre Darlegungslast. Er hat sich im Rahmen der ihm nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei zu äußern; anderenfalls gilt das Vorbringen des Geschädigten als zugestanden.“
(BGH, Urteil vom 4. Februar 2021 – III ZR 7/20)