Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung

Es gibt Gerichtsprozesse, deren Ausgang maßgeblich von einer Beweisaufnahme abhängt, z.B. von der Aussage einer Partei oder eines Zeugen.

Ob nach der Beweisaufnahme etwas als wahr unterstellt wird oder nicht (z. B. „war die Ampel grün?“), entscheidet das Gericht faktisch nach eigenem Bauchgefühl. Das steht – natürlich etwas vornehmer formuliert – in § 286 ZPO:

„§ 286 Freie Beweiswürdigung

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.“

Diese Tatsache führt bei Mandanten immer wieder zu Unverständnis. Die Ampel mag vielleicht tatsächlich grün gewesen sein. Wenn das Gericht dann im Urteil ausführt, die Ampel sei rot gewesen, fühlt sich der Mandant verständlicherweise um seine Wahrheit betrogen. Das heißt aber nicht automatisch, dass ein Fehlurteil vorliegt!

Man muss sich hierzu einfach in die Lage des Gerichts hineinversetzen. Die Parteien verlangen, dass das Gericht über ihren Streit entscheiden soll. Der Kläger sagt, die Ampel war grün, die Beklagte sagt, die Ampel war rot. Das Gericht war in den allermeisten Fällen nicht dabei. Wem soll das Gericht nun glauben? Dem Kläger, nur weil er drei Zeugen mehr hat? Oder der Beklagten, weil die Zeugen des Klägers ziemlich unseriös wirken? Hier sieht man: Die ultimative Wahrheitsfindung ist vor Gericht fast nie möglich.

In solchen Fällen kann daher auch der Anwalt den Ausgang eines Rechtsstreits nicht mit Sicherheit vorhersagen. Wie sich eine Partei oder ein Zeuge vor Gericht präsentiert (und ob das Gericht der Aussage glaubt oder nicht), steht häufig in den Sternen. Das gehört letztlich zum allgemeinen Prozessrisiko, über das man sich als Mandant im Klaren sein muss. Daher kommen auch solche Sprichwörter wie „Vor Gericht und auf hoher See…“ oder „Recht haben und Recht bekommen…“.

Auch ein Gericht kann nur im Rahmen seiner Möglichkeiten Recht sprechen, was aber nicht gleichbedeutend mit ultimativer Gerechtigkeit ist. Ein deutscher Rechtsphilosoph hat dies sehr gut auf den Punkt gebracht:

„Recht ist Wille zur Gerechtigkeit.“

Gustav Radbruch

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