Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt zugunsten des Geschädigten eines Verkehrsunfalls das sogenannte Werkstattrisiko. Vereinfacht gesagt bedeutet das Werkstattrisiko, dass dem Geschädigten nicht entgegengehalten werden kann, dass die Reparaturarbeiten des von ihm beauftragten Werkstattbetriebs unwirtschaftlich waren. Wer unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt wird, darf sich an die Werkstatt seines Vertrauens wenden und muss grundsätzlich nicht hinterfragen, ob die für die Reparatur gestellte Rechnung korrekt ist oder nicht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 16.01.2024 – VI ZR 253/22).
Das Landgericht Hamburg hat nun klargestellt, dass diese Grundsätze nicht auf die Kaskoversicherung übertragbar sind. Im Rahmen der Kaskoversicherung kann sich der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer bei überhöhten Kosten für die Reparatur eines Kaskoschadens nicht auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen (LG Hamburg, Urteil vom 14.02.2025 – Az. 306 S 14/24).
Aus den Entscheidungsgründen:
„Die Klägerin kann sich in Bezug die Erstattungsfähigkeit des ihr in Rechnung gestellten Betrag nicht auf ein sogenanntes „Werkstattrisiko“ wegen eines möglicherweise überhöhten Rechnungsbetrages oder eines nicht baugleichen Ersatzteils berufen. Zwar unterfallen auch und gerade überhöhte Ersatzteilkosten im Haftpflichtfall, dem sogenannten „Werkstattrisiko“ (vgl. BGH, Urt. v. 16.01.2024, VI ZR 253/22, Rdnr. 14, zit. n. juris). Jedoch stellt der BGH a.a.O. auch klar, dass es sich bei u.a. überhöhten Materialkosten gerade nicht um „erforderliche Kosten“ im Sinne des § 249 BGB handelt. Vielmehr soll der Geschädigte nicht mit Mehraufwendungen belastet werden, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen sind und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Die Rechtsprechung zum „Werkstattrisiko“ setzt also dort an, wo gerade keine „Erforderlichkeit“ der tatsächlich erbrachten oder überhöht abgerechneten Reparatur zur Schadensbeseitigung im Sinne des § 249 BGB vorliegt. Das „Werkstattrisiko“ weist insofern im Haftpflichtfall dem Schädiger das Risiko zu, dass der Geschädigte mit weiteren Aufwendungen belastet wird, die über die eigentlich zur Schadensbeseitigung erforderlichen Aufwendungen hinausgehen.
Dies übersieht das Landgericht Nürnberg –Fürth (B. v. 24.01.2022, 2 S 4702/21 m. w. N., zit. n. juris), welches davon ausgeht, dass auch unangemessene Kosten im Sinne der genannten BGH-Entscheidung vom Versicherungsnehmer als „erforderlich“ im Sinne der Versicherungsbedingungen angesehen werden können.
Im Kaskofall hat es der Versicherungsnehmer – anders als im Haftpflichtfall – nämlich nicht mit einem Schädiger zu tun der ihn in die Situation gedrängt hat, sein Fahrzeug reparieren zu müssen. Er hat es vielmehr mit einem Vertragspartner zu tun, der (nur) bedingungsgemäß Leistungen zu erbringen hat, mithin – nach den hier zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen – nur die Erstattung der zur Reparatur tatsächlich „erforderlichen“ Kosten. Überflüssige oder unangemessene Leistungen, die dem Versicherungsnehmer in Rechnung gestellt werden, können auch von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer grundsätzlich nicht unter den Begriff „erforderlich“ subsumiert werden. Für eine Zuweisung des Risikos an den Versicherer, dass der von dem Versicherungsnehmer selbst ausgewählte Vertragspartner (Reparaturbetrieb) zur Wiederherstellung überflüssige Arbeiten abrechnet oder überhöhte Preise ansetzt, gibt es im Vertragsrecht – anders als im Haftpflichtrecht – keine Grundlage. Deswegen kann sich auch der Versicherungsnehmer im Verhältnis zu seiner Kaskoversicherung auch nicht darauf berufen, er habe auf eine ordnungsgemäße Arbeit der Werkstatt vertrauen dürfen. Die in Teilen der Literatur vertretene Gegenauffassung (so u.a. Staudinger/Runge, NJW 2024, 1996, 1998) überdehnt ebenfalls entgegen der zitierten Rechtsprechung des BGH den Begriff der Erforderlichkeit und bezieht explizit nicht erforderliche Arbeiten zu Lasten des Versicherers mit ein.
Dies gilt insbesondere auch dann, wenn, wie hier, eine Werkstattbindung, vereinbart wurde und die Versicherungsnehmerin entgegen der vertraglichen Regelung ohne Rücksprache mit der Versicherung eine Werkstatt auswählt. Dann können übermäßige Kosten erst Recht nicht auf den Versicherer abgewälzt werden, der sich dieser ja mit dieser Regelung zulässigerweise unter anderem auch vor dem Risiko möglicherweise überhöhter Kosten anderer Werkstätten schützen will.“
(LG Hamburg, Urteil vom 14.02.2025 – Az. 306 S 14/24)
