Der Pflichtteil im Erbrecht

Wer hat einen Anspruch auf den Pflichtteil?

Anspruch auf den Pflichtteil hat nur ein begrenzter Personenkreis. Dies sind:

  • Abkömmlinge des Erblassers (§ 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB)
  • Eltern des Erblassers (§ 2303 Abs. 2 Satz 1, 1. Alternative BGB)
  • Ehegatte des Erblassers (§ 2303 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative BGB)
  • Eingetragener Lebenspartner des Erblassers (§ 10 Abs. 6 Satz 1 LPartG)

Weitere Voraussetzung ist, dass der Pflichtteilsberechtigte durch Verfügung von Todes wegen von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wurde.

Der Pflichtteilsberechtigte hätte also ohne Enterbung zu den gesetzlichen Erben gehören müssen.

Was sind „Abkömmlinge“?

Abkömmlinge sind alle in gerader absteigender Linie mit dem Erblasser verwandten Personen (§ 1589 BGB), also Kinder, Enkel, Urenkel usw.

Entferntere Abkömmlinge (z.B. der Enkel des Erblassers) werden hierbei von näheren Abkömmlingen (z.B. der Sohn des Erblassers = Vater des Enkels) ausgeschlossen bzw. verdrängt (§ 2309 BGB). Vorhandene Kinder schließen somit vorhandene Enkel als Pflichtteilsberechtigte aus.

Sind auch nichteheliche oder adoptierte Kinder pflichtteilsberechtigt?

Nichteheliche Kinder sind mittlerweile (Erbfälle seit dem 1.4.1998) den ehelichen Kindern vollständig gleichgestellt (vgl. Art. 227 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB).

Auch adoptierte Kinder gehören zu den pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen (vgl. § 1754 Abs. 1, Abs. 2 BGB).

Sind die Kinder bei einem „Berliner Testament“ pflichtteilsberechtigt?

Bei einem „Berliner Testament“ gemäß § 2269 BGB setzen sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben und die gemeinsamen Kinder als Erben des länger lebenden Ehegatten ein. Das bedeutet, beim Versterben des ersten Ehegatten werden die Kinder in der gesetzlichen Erbfolge übergangen. Das Versterben des ersten Ehegatten löst somit auch Pflichtteilsansprüche der Kinder gegen den länger lebenden Ehegatten (=Alleinerbe) aus.

Kann man den Pflichtteil verlangen, wenn man das Erbe ausgeschlagen hat?

Grundsätzlich nein. Der Pflichtteil steht grundsätzlich nur Pflichtteilsberechtigten zu, die durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurden, § 2303 Abs. 1 BGB. Bei einer Ausschlagung ist dies grundsätzlich nicht der Fall (vgl. LG Offenburg, Urteil vom 18.07.2019, Az. 2 O 445/18).

Ausnahmen hiervon sind:

  • Die Ausschlagung durch einen Ehepartner in der Zugewinngemeinschaft (§ 1371 Abs. 3 BGB)
  • Die Ausschlagung aufgrund einer Beschwerung durch Vor- und Nacherbschaft, Testamentsvollstreckung, Teilungsanordnung, Vermächtnis oder Auflage (§ 2306 BGB)

Kann man den Pflichtteil verlangen, wenn man einen Erbverzicht erklärt hat?

Nein, in diesem Fall gilt § 2346 Abs. 1 Satz 2 BGB:

„Der Verzichtende ist von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebte; er hat kein Pflichtteilsrecht.“

Dasselbe gilt auch, wenn man für erbunwürdig erklärt wurde (§ 2344 BGB).

Gegen wen richtet sich der Pflichtteilsanspruch?

Der Pflichtteilsanspruch richtet sich gegen den Erben bzw. die Miterben als Gesamtschuldner (§§ 2303 Abs. 1 Satz 1, 2058 BGB).

Wie ist der Pflichtteilsanspruch zu erfüllen?

Der Pflichtteilsanspruch ist ein Geldanspruch. Der Pflichtteilsberechtigte hat daher keinen Anspruch auf bestimmte Nachlassgegenstände, sondern nur auf eine Zahlung in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.

„Pflichtteilsansprüche sind Geldsummenansprüche. Ihr Betrag wird durch den Bestand und den Wert des Nachlasses z.Z. des Erbfalles endgültig und eindeutig festgelegt. Nachträgliche Änderungen der Berechnungsgrundlagen sind ohne Einfluß auf die Höhe der Pflichtteilsleistung.“

(BGH, Urteil vom 14. 7. 1952 – IV ZR 74/52)

Wie hoch ist der gesetzliche Pflichtteil?

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Zu unterscheiden ist also zwischen der Pflichtteilsquote selbst und dem Geldbetrag, auf welchen sich die Pflichtteilsquote bezieht.

Um die Pflichtteilsquote zu ermitteln, muss man also die gesetzliche Erbquote kennen. Bei der Feststellung des für die Berechnung des Pflichtteils maßgebenden Erbteils werden diejenigen mitgezählt, welche durch letztwillige Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen sind oder die Erbschaft ausgeschlagen haben oder für erbunwürdig erklärt sind. Wer durch Erbverzicht von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen ist, wird hierbei nicht mitgezählt (§ 2310 BGB).

Beispiel:

Ein verwitweter Vater hat noch zwei Söhne. Nach der gesetzlichen Erbfolge sind diese zu gleichen Teilen seine Erben. Der gesetzliche Erbteil eines Sohnes beträgt somit 1/2, der Pflichtteil demnach 1/4 (= Hälfte von 1/2).

Bei Ehegatten ist zunächst immer die gesetzliche Erbquote des länger lebenden Ehegatten zu ermitteln, da diese je nach Anzahl der Kinder und Güterstand variieren kann (vgl. §§ 1931, 1371 BGB).

Beispiel:

Zwei Ehegatten haben zwei Kinder und leben im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Verstirbt ein Ehegatte, gilt Folgendes: Gemäß § 1371 Abs. 1 BGB erhöht sich der gesetzliche Erbteil um 1/4. Die gesetzliche Erbquote des überlebenden Ehegatten beträgt dann 1/2, die Pflichtteilsquote 1/4. Die gesetzliche Erbquote der zwei Kinder beträgt jeweils 1/4 und die Pflichtteilsquote jeweils 1/8.

Ob weitere Pflichtteilsberechtigte ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen oder nicht, ist für die Pflichtteilsquote des Einzelnen irrelevant (BGH, Urteil vom 26. 9. 2001, Az. IV ZR 198/00).

Eine Tabelle mit typischen Pflichtteilsquoten finden Sie hier:

Wie wird die Höhe des Pflichtteilsanspruchs berechnet?

Der Berechnung des Pflichtteils wird der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt („Stichtagsprinzip“, § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Wert ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln (§ 2311 Abs. 2 Satz 1 BGB).

Eine bestimmte Wertberechnungsmethode für die Ermittlung des Nachlasswerts ist nicht vorgeschrieben (BGH, Urteil vom 13.5.2015, Az. IV ZR 138/14).

Was versteht man unter dem Nachlasswert?

Der Nachlasswert ist die Differenz zwischen dem Wert aller zum Nachlass zurechenbaren Vermögensgegenstände und den Nachlassverbindlichkeiten (also Aktiva minus Passiva).

Bei der Ermittlung ist der sogenannte „gemeine Wert“ anzusetzen. Darunter versteht man den Wert, den ein einzelner Nachlassgegenstand für jeden hat; dies ist der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung unter normalen und erlaubten Verhältnissen voraussichtlich zu erzielen wäre (OLG München, Urteil vom 04.04.2012 – 3 U 4952/10).

Wie kann der Pflichtteilsberechtigte den Nachlasswert ermitteln?

Damit der Pflichtteilsberechtigte die Möglichkeit hat, den Nachlasswert zu ermitteln, besteht nach dem Gesetz ein Auskunftsanspruch gegen die Erben über den Bestand des Nachlasses (§ 2314 BGB).

Wie ist der Auskunftsanspruch gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten zu erfüllen?

§ 2314 BGB regelt die Auskunftspflicht der Erben. Die Vorschrift verweist wiederum auf § 260 BGB:

„(1) Wer verpflichtet ist, einen Inbegriff von Gegenständen herauszugeben oder über den Bestand eines solchen Inbegriffs Auskunft zu erteilen, hat dem Berechtigten ein Verzeichnis des Bestands vorzulegen.

(2) Besteht Grund zu der Annahme, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist, so hat der Verpflichtete auf Verlangen zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er nach bestem Wissen den Bestand so vollständig angegeben habe, als er dazu imstande sei.“

(§ 260 Abs. 1, Abs. 2 BGB)

§ 2314 BGB unterscheidet insoweit zwischen privaten Nachlassverzeichnissen (§ 2314 Abs. 1 S. 1 BGB) und amtlichen Nachlassverzeichnissen (§ 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB).

Der Pflichtteilsberechtigte muss sich nicht für eine Art abschließend entscheiden. Er kann auch nach Vorlegung eines privaten Nachlassverzeichnisses noch auf ein amtliches Nachlassverzeichnis bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 02.11.1960, Az. V ZR 124/59).

Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass er bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses zugezogen wird (§ 2314 Abs. 1 S. 2 BGB), er hat also insoweit ein Anwesenheitsrecht.

Wie weit ist der Erbe zu Nachforschungen verpflichtet?

Der Erbe, welcher einem Pflichtteilsberechtigten zur Auskunft verpflichtet ist, muss nicht nur sein eigenes vorhandenes Wissen mitteilen. Er muss sich ggf. die zur Auskunftserteilung notwendigen Kenntnisse – soweit möglich – verschaffen und dazu auch von einem Auskunftsrecht gegenüber Dritten (z.B. dem Kreditinstitut des Erblassers) Gebrauch machen (vgl. BGH, Urteil vom 28.02.1989, Az. XI ZR 91/88).

Erstreckt sich der Auskunftsanspruch auch auf den fiktiven Nachlass?

Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten umfasst auch den sogenannten „fiktiven Nachlass“. Dazu gehören:

  • anrechnungspflichtige Zuwendungen des Erblassers (§ 2315 BGB)
  • ausgleichspflichtige Zuwendungen des Erblassers (§§ 2316 Abs. 1, 2052, 2055 Abs. 1 BGB)
  • Schenkungen innerhalb der letzten zehn Jahre (§ 2325 BGB)
  • Schenkungen sowie unbenannte Zuwendungen zugunsten des überlebenden Ehegatten (§ 2325 Abs. 3 Satz 3 BGB)

„Der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten umfaßt nicht nur die beim Erbfall tatsächlich vorhandenen Nachlaßgegenstände, sondern auch die ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erblassers, seine Schenkungen innerhalb der letzten zehn Lebensjahre und die Nachlaßverbindlichkeiten“

(BGH, Urteil vom 02.11.1960, Az. V ZR 124/59)

Ist der Erbe zur Vorlage von Belegen verpflichtet?

Dies ist im Einzelnen umstritten, die Rechtsprechung lehnt jedoch einen grundsätzlichen Anspruch auf Vorlage von Belegen ab (vgl. z.B. OLG Brandenburg, Urteil vom 14.7.2020, Az. 3 U 38/19; OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.07.2018, Az. 7 U 9/17; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.2012, Az. 10 U 91/11; OLG Koblenz, Beschluss vom 22.09.2011, Az. 10 U 409/11).

§ 2314 Abs. 1 BGB sieht keine Verpflichtung des Erben zur Rechenschaftslegung im Sinne von § 259 BGB und auch keine – daran anknüpfende – allgemeine Belegvorlagepflicht vor (…). Nach gefestigter Rechtsprechung kommt dem Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben nur dann ein Anspruch auf Vorlage von (Beleg-)Unterlagen zu, wenn die Vorlage solcher Belege notwendig ist, damit er seinen Pflichtteils(ergänzungs)anspruch berechnen kann, weil der Wert einzelner (tatsächlicher oder fiktiver) Nachlassgegenstände ungewiss ist (…).“

(OLG Hamm, Urteil vom 31.01.2012, Az. 10 U 91/11)

Muss das Nachlassverzeichnis Wertangaben enthalten?

Das Nachlassverzeichnis selbst muss streng genommen keine Wertangaben enthalten, allerdings hat der Pflichtteilsberechtigte einen gesonderten Wertermittlungsanspruch, siehe BGH, Urteil vom 04.12.1980, Az. IVa ZR 46/80:

„Allerdings gibt § 2314 BGB keinen Anspruch darauf, daß der Verpflichtete sich über den Wert der Nachlaßgegenstände äußert; vielmehr richtet sich der Anspruch – soweit es sich um den Wert der Nachlaßgegenstände handelt – gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB darauf, daß dieser Wert ermittelt wird, und zwar, wie der Bundesgerichtshof in NJW 1975, 258 f entschieden hat, dadurch, daß der Erbe den Wert durch einen unparteiischen Sachverständigen ermitteln läßt.“

(BGH, Urteil vom 04.12.1980, Az. IVa ZR 46/80)

Wann verjährt der Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten?

Der Auskunftsanspruch aus § 2314 BGB verjährt im Grundsatz selbstständig und unabhängig von dem Pflichtteilsanspruch innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 05.05.2015, Az. 3 U 98/14).

Welche Möglichkeiten hat der Pflichtteilsberechtigte, wenn er die Vollständigkeit des Nachlassverzeichnisses anzweifelt?

Der Pflichtteilsberechtigte kann in begründeten Fällen von dem auskunftspflichtigen Erben die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über die Vollständigkeit des Nachlassverzeichnisses verlangen. Gemäß § 260 Abs. 2 BGB muss hierfür Grund zu der Annahme bestehen, dass das Nachlassverzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist.

Wann ist der Pflichtteilsanspruch fällig?

Der Anspruch auf den Pflichtteil entsteht mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB). Mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung ist er sofort fällig (§ 271 Abs. 1 BGB).

Kann man den Pflichtteilsanspruch selbst vererben bzw. übertragen?

Der Pflichtteilsanspruch ist vererblich und übertragbar (§ 2317 Abs. 2 BGB).