Wird eine Lebensversicherung auf den Pflichtteil angerechnet?

In erbrechtlichen Fällen spielen nicht selten Lebensversicherungen eine Rolle. Insbesondere Kapitallebensversicherungen erfreuten sich über viele Jahre großer Beliebtheit und tauchen somit immer wieder in Erbfällen auf.

Da die Versicherungssummen von Lebensversicherungen oft erheblich sind, stellt sich für Pflichtteilsberechtigte die Frage, ob bzw. in welcher Höhe eine Lebensversicherung im Hinblick auf den Pflichtteil zu berücksichtigen ist.

Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst zwischen drei Konstellationen unterscheiden:

  1. Bei einer Kapitallebensversicherung besteht zunächst die Möglichkeit, dass der Erblasser bis zum Vertragsende lebt und noch zu Lebzeiten die Ablaufleistung aus der Versicherung erhält.
  2. Auch ist denkbar, dass der Versicherte vor Vertragsablauf verstirbt, aber zu Lebzeiten keinen anderen Bezugsberechtigten eingesetzt hat oder die Bezugsberechtigung vor seinem Tod widerrufen hat.
  3. Als dritte Konstellation ist denkbar, dass der Versicherungsnehmer vor seinem Tod eine bestimmte Person bestimmt hat, an die im Todesfall die Todesfallleistung auszuzahlen ist (Bezugsberechtigter). In diesem Fall greift der weitere Zweck einer Lebensversicherung, nämlich die Versorgung von Hinterbliebenen. Es handelt sich insoweit um einen Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB). Rechtsgrund hierfür ist häufig eine Schenkung.

Der erste Fall (Erblasser lebt bis zum Vertragsende) ist im Hinblick auf den Pflichtteil unkompliziert: Der Erblasser erhält die Ablaufleistung, diese fließt seinem Vermögen zu und erhöht entsprechend seine Erbmasse. Damit erhöht sich auch entsprechend der Pflichtteil.

Der zweite Fall (Erblasser stirbt vor Vertragsende, es gibt keinen Bezugsberechtigten) entspricht vom Ergebnis her dem ersten Fall: Ist kein Bezugsberechtigterer benannt, fällt die Versicherungssumme in den Nachlass (vgl. BGH, Urteil vom 8. 5. 1996 – IV ZR 112/95). Damit erhöht sich auch entsprechend der Pflichtteil.

Der dritte Fall (Erblasser hat vor seinem Tod einen Bezugsberechtigten eingesetzt) ist etwas komplizierter. Hier muss man zunächst zwischen Lebensversicherungsverträgen mit widerruflichem und unwiderruflichem Bezugsrecht unterscheiden.

Was gilt bei Lebensversicherungen mit widerruflichem Bezugsrecht?

Bei Lebensversicherungsverträgen mit widerruflichen Bezugsrecht hat der BGH entschieden, dass weder die Summe der gezahlten Prämien noch die Versicherungsleistung im Todesfall für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs maßgeblich sind. Maßgeblich hierfür sei stattdessen der Rückkaufswert (BGH, Urteil vom 28. 4. 2010 – IV ZR 73/08).

Was ist der Rückkaufwert?

Der Rückkaufswert ist der Wert, den ein Versicherter zu Lebzeiten erhält, wenn er den Lebensversicherungsvertrag vorzeitig kündigt.

Wieso kommt der BGH auf den Rückkaufswert?

Der Gedanke dahinter ist folgender: Wenn ein Versicherungsnehmer einen Dritten widerruflich als Bezugsberechtigten einsetzt, dann wendet er ihm – wirtschaftlich gesehen – nur das zu, was die Lebensversicherung in diesem Zeitpunkt wert ist. Und das ist aus Sicht des BGH nur der Rückkaufswert, denn der Versicherungsnehmer hätte ja bis zu seinem Tod die Möglichkeit, die Lebensversicherung zu kündigen.

Gilt der Rückkaufwert auch für die Berechnung der Schenkungssteuer?

Der Rückkaufswert gilt nicht für die Bestimmung der Schenkungssteuer. Hierbei macht das Finanzamt auch keinen Unterschied zwischen unwiderruflicher Bezugsberechtigung und widerruflicher Bezugsberechtigung. Zuwendungsgegenstand ist in beiden Fällen die ausgezahlte Versicherungssumme, nicht dagegen die Prämienzahlungen bis zur Bezugsrechtseinräumung (vgl. Schlitt/Müller-Engels PflichtteilsR-HdB/Schlitt, 3. Aufl. 2024, § 5 Rn. 112, beck-online).

Was gilt bei einer Lebensversicherung mit unwiderruflicher Bezugsberechtigung?

Zur unwiderruflichen Bezugsberechtigung hat der BGH in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2010 nicht Stellung genommen.

Wird der Bezugsberechtigte unwiderruflich eingesetzt, so erhält er bereits mit Bezugsberechtigung den Wert der Versicherung. Der Bezugsberechtigte erwirbt dadurch ein eigenes Leistungsrecht gegen den Versicherer, welches nicht mehr ohne seine Zustimmung aufgehoben werden kann (vgl. § 159 Abs. 3 VVG). Die Versicherung ist daher nach einigen Stimmen in der Literatur mit dem Rückkaufswert zu diesem Zeitpunkt zu bewerten (vgl. Hk-PflichtteilsR/Gietl, 3. Aufl. 2022, BGB § 2325 Rn. 84; MüKoBGB/Lange, 9. Aufl. 2022, BGB § 2325 Rn. 48).

Wann beginnt die Zehnjahresfrist (§ 2325 Abs. 3 BGB) zu laufen?

Auch bei der Berechnung des Fristbeginns der Zehnjahresfrist nach § 2325 Abs. 3 BGB ist zu unterscheiden zwischen widerruflichem und unwiderruflichem Bezugsrecht.

Bei einem widerruflichen Bezugsrecht beginnt die Frist erst mit dem Tod des Erblassers zu laufen. Der Abschluss des Versicherungsvertrags ist dagegen nicht maßgeblich, denn die Leistung des Schenkungsgegenstands erfolgt im Zeitpunkt des Erbfalls, sodass die Frist erst gar nicht in Gang gesetzt wird.

Bei Einräumung eines unwiderruflichen Bezugsrechts ist die Zuwendung bereits rechtlich wirtschaftlich vollzogen, sodass die Frist in dem Zeitpunkt der Einräumung des unwiderruflichen Bezugsrechts zu laufen beginnt. Denn der Begünstigte erwirbt ein sofort wirksames eigenes Recht gegen den Versicherer. Sieht man die nachfolgenden Prämien als weitere Geschenke an, laufen jeweils eigenständige Fristen ab dem Zeitpunkt der Zahlung (vgl. BeckOGK/A. Schindler, 1.2.2025, BGB § 2325 Rn. 238, 239, beck-online).