Viele Darlehensnehmer interessieren sich - nicht zuletzt aufgrund der umfangreichen Werbung einiger Rechtsanwälte in Presse und Internet - für einen Widerruf ihres Immobilienkredits. Auch mich erreichen zu diesem Thema regelmäßig Anfragen. Aus diesem Grund habe ich ein paar wesentliche Fakten zusammengefasst, die als erste Orientierung dafür dienen sollen, welche Immobilienkredite überhaupt widerrufen werden können.

Vertragsabschluss zwischen dem 01. August 2002 und dem 10. Juni 2010

Bei Immobilienkrediten, die zwischen dem 01.08.2002 und dem 10.06.2010 abgeschlossen wurden, ist ein Widerruf heute ausgeschlossen. Das gilt selbst dann, wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war und damit ein „ewiges Widerrufsrecht“ galt. Denn der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, solche Altverträge per Gesetz bestandskräftig werden zu lassen. Geregelt wurde dies in Art. 229 Art. 38 Abs. 3 EGBGB:

„Bei Immobiliardarlehensverträgen gemäß § 492 Absatz 1a Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der vom 1. August 2002 bis einschließlich 10. Juni 2010 geltenden Fassung, die zwischen dem 1. September 2002 und dem 10. Juni 2010 geschlossen wurden, erlischt ein fortbestehendes Widerrufsrecht spätestens drei Monate nach dem 21. März 2016, wenn das Fortbestehen des Widerrufsrechts darauf beruht, dass die dem Verbraucher erteilte Widerrufsbelehrung den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht entsprochen hat. Bei Haustürgeschäften ist Satz 1 nur anzuwenden, wenn die beiderseitigen Leistungen aus dem Verbraucherdarlehensvertrag bei Ablauf des 21. Mai 2016 vollständig erbracht worden sind, andernfalls erlöschen die fortbestehenden Widerrufsrechte erst einen Monat nach vollständiger Erbringung der beiderseitigen Leistungen aus dem Vertrag.“

Vertragsabschluss zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016

Etwas anderes gilt für Immobilienkredite, die zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 abgeschlossen wurden. Hier ist auch weiterhin ein „ewiges Widerrufsrecht“ möglich, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß, d.h. ohne Formfehler über sein Widerrufsrecht belehrt wurde.

Vertragsabschluss ab dem 21. März 2016

Für Verträge ab dem 21.03.2016 wurde die Rechtslage erneut verändert. Für diese besteht kein „ewiges Widerrufsrecht“, sondern dieses erlischt - auch bei fehlerhafter Widerrufsbelehrung - spätestens 1 Jahr und 14 Tage nach Vertragsschluss. Das ergibt sich aus § 356b Abs. 2 S. 4 BGB n.F.:

„§ 356b Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen

(1) Die Widerrufsfrist beginnt auch nicht, bevor der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer eine für diesen bestimmte Vertragsurkunde, den schriftlichen Antrag des Darlehensnehmers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder seines Antrags zur Verfügung gestellt hat.

(2) Enthält bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag die dem Darlehensnehmer nach Absatz 1 zur Verfügung gestellte Urkunde die Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 nicht, beginnt die Frist erst mit Nachholung dieser Angaben gemäß § 492 Absatz 6. Enthält bei einem Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag die dem Darlehensnehmer nach Absatz 1 zur Verfügung gestellte Urkunde die Pflichtangaben zum Widerrufsrecht nach § 492 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 247 § 6 Absatz 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche nicht, beginnt die Frist erst mit Nachholung dieser Angaben gemäß § 492 Absatz 6. In den Fällen der Sätze 1 und 2 beträgt die Widerrufsfrist einen Monat. Das Widerrufsrecht bei einem Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag erlischt spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss oder nach dem in Absatz 1 genannten Zeitpunkt, wenn dieser nach dem Vertragsschluss liegt.

(3) Die Widerrufsfrist beginnt im Falle des § 494 Absatz 7 bei einem Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrag erst, wenn der Darlehensnehmer die dort bezeichnete Abschrift des Vertrags erhalten hat.“

Ausnahme: Fernabsatz-Darlehensvertrag

Etwas anderes gilt bei Immobilienkreditverträgen, die im Wege eines sog. Fernabsatzgeschäfts abgeschlossen wurden. Darunter versteht man solche Verträge, die ohne persönlichen Kontakt mit Mitarbeitern der Bank abgeschlossen werden, sondern ausschließlich postalisch oder per Internet. Das wiederum betrifft insbesondere Immobilienkredite, die durch Direktbanken vergeben wurden.

Bei solchen Fernabsatz-Darlehensverträgen kommt ein Widerruf auch unabhängig von den oben genannten Zeiträumen in Betracht.

Hintergrund sind jüngere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH), in denen die Thematik des Fernabsatzes ausdrücklich thematisiert wird.

In der Entscheidung des BGH vom 27.02.2018, XI ZR 160/17 ging es um folgenden Sachverhalt:

„Der Kläger und seine Ehefrau besprachen Anfang Januar 2007 mit einem Außendienstmitarbeiter der Beklagten die Einzelheiten der Gewährung zweier Darlehen und stellten einen Darlehensantrag. Daran anschließend übersandte die Beklagte dem Kläger und seiner Ehefrau zwei Exemplare eines von ihr unterzeichneten Vertragsformulars. Dieses Vertragsformular bezog sich auf ein “Annuitätendarlehen II” Nr. 00 über 105.000 € und einen bis zum 31. Januar 2022 festen Zinssatz von 4,46% p.a. und auf ein “Vorfinanzierungsdarlehen” mit der Bezeichnung “Konstant 15” Nr. 53 über 30.000 € und einen Zinssatz von 4,5% p.a. “fest bis zur Zuteilung des Bausparvertrages durch Einzahlungen in Höhe der vereinbarten monatlichen Sparrate voraussichtliche Zuteilung in ca. 6 Jahren 3 Monaten”. Das “Vorfinanzierungsdarlehen” sollte durch ein Bauspardarlehen der Beklagten abgelöst werden. Ein Teilbetrag des “Vorfinanzierungsdarlehens” in Höhe von 5.000 € sollte dementsprechend auf ein Bausparkonto des Klägers und seiner Ehefrau bei der Beklagten fließen. Im Übrigen sollten der Kläger und seine Ehefrau monatlich Sparraten von 78,75 € auf den Bausparvertrag erbringen und ihre Ansprüche aus dem Bausparvertrag an die Beklagte verpfänden.“

Der BGH führte dazu Folgendes aus:

„Auf der Grundlage des unstreitigen Vorbringens zur Vertragsanbahnung haben die Parteien Fernabsatzverträge im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung (künftig: aF) nicht geschlossen. An einem Vertragsschluss “unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln” fehlt es, wenn der Verbraucher während der Vertragsanbahnung persönlichen Kontakt zu einem Mitarbeiter des Unternehmers oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter hat…

Das ergibt die gebotene richtlinienkonforme Auslegung…

…Nach Unionsrecht setzt der Abschluss eines Fernabsatzvertrags mithin voraus, dass “die beiden Vertragsparteien - der Lieferer und der Verbraucher - bei der Anbahnung und zum Zeitpunkt des Abschlusses des Fernabsatzvertrags nicht gleichzeitig körperlich anwesend sind” (Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 28. Januar 2010 in der Rechtssache C-511/08, ZIP 2010, 373 Rn. 27). Entsprechend erkannte schon der Gesetzgeber des § 1FernAbsG, bei Vertreterbesuchen oder Ähnlichem liege kein Fernabsatz vor (BT-Drucks. 14/2658, S. 30). Mit der Einführung des § 312b Abs. 1 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I S. 3138), der wörtlich aus § 1 FernAbsG übernommen wurde (BT-Drucks. 14/6040, S. 168), und mit der Umsetzung der Richtlinie 2002/65/EG durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3102) änderte er an dieser unionsrechtskonformen Definition des Fernabsatzvertrags nichts (vgl. auch BT-Drucks. 15/2946, S. 18). Nur in Fällen, in denen der Verbraucher keine Möglichkeit hat, vor Vertragsschluss den Vertragsgegenstand persönlich in Augenschein zu nehmen oder im persönlichen Gespräch mit dem Unternehmer oder einem vom Unternehmer bevollmächtigten Vertreter Fragen zu stellen und Unklarheiten auszuräumen, besteht ein Bedürfnis für ein zweiwöchiges Widerrufsrecht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - III ZR 380/03, BGHZ 160, 393, 398 f.).“

In seinem Urteil vom 16.04.2019 - XI ZR 755/17 führt der BGH aus:

„Vielmehr gibt sie selbst an, die Kläger hätten den Antrag der Beklagten auf Abschluss des Darlehensvertrags angenommen, indem sie “den Darlehensvertrag in der Filiale der Beklagten” übergeben hätten. Damit schlossen die Parteien nach dem Vortrag der Kläger den Darlehensvertrag anders als in Fällen, in denen ein Bote beauftragt wird, der zwar dem Verbraucher in unmittelbarem persönlichen Kontakt gegenübertritt, jedoch über den Vertragsinhalt und insbesondere über die Beschaffenheit der Vertragsleistung des Unternehmers keine näheren Auskünfte geben kann und soll (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - III ZR 380/03, BGHZ 160, 393, 398 ff.), nicht - wie für einen Fernabsatzvertrag Voraussetzung (Härting, Fernabsatzgesetz, 2000, § 1 Rn. 60; Grupp, Die Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie 2002/65/EG - Status quo und Reformbedarf, 2009, S. 52; MünchKommBGB/Wendehorst, 5. Aufl. und 6. Aufl., § 312b Rn. 51; vgl. auch Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG) - an getrennten Orten. Vielmehr erklärten die Kläger die Annahme durch Abgabe des von ihnen unterzeichneten Vertragsformulars gegenüber der Beklagten in deren Geschäftsbereich. Darauf, ob dem Vertragsschluss zusätzlich eine nicht auf Fernkommunikationsmittel beschränkte Vertragsanbahnung vorausging (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. Februar 2018 - XI ZR 160/17, WM 2018, 729 Rn. 20 f.), wozu das Berufungsgericht keine näheren Feststellungen getroffen hat, kommt es nicht mehr an.“

Damit dürfte klargestellt sein, dass in bestimmten Fällen ein Fernabsatzgeschäft vorliegt und ein gesonderter „Fernabsatz-Widerrufsjoker“ möglich ist.

Bei Fernabsatz-Darlehensverträgen besteht für die kreditgebende Bank - neben der Erteilung einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung - die zusätzliche Pflicht, dem Darlehensnehmer verschiedene vorvertragliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Hier kann sich also eine Widerrufsmöglichkeit daraus ergeben, dass diese vorvertraglichen Informationspflichten falsch oder gar nicht erfüllt wurden.