Stundenverrechnungssätze in der fiktiven Schadensabrechnung

Verlangt der Geschädigte eine fiktive Schadensregulierung auf Gutachtenbasis, kommt es nicht selten zu Streitigkeiten mit der gegnerischen Versicherung über die Höhe der Stundenverrechnungssätze, die in dem Gutachten ausgewiesen sind.

Der Bundesgerichtshof hat hierzu im „Porsche-Urteil“ entschieden:

„Der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, darf der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen. Der abstrakte Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken- und freien Fachwerkstätten einer Region repräsentiert als statistisch ermittelte Rechengröße nicht den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag.“

(BGH, Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 398/02)

Dahinter steht der Gedanke, dass der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB bei der Beschädigung seines Fahrzeugs den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen darf. Letztlich ist hierbei auch gleichgültig, ob bzw. in welchem Umfang und in welcher Qualität der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren lässt:

„Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt.“

(BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 – VI ZR 313/13)

Auf der anderen Seite hat der Geschädigte eine Schadensminderungspflicht.

„Dem Schädiger verbleibt in jedem Falle die Möglichkeit darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Geschädigte gegen seine Pflicht zur Schadensminderung aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen hat, indem er bei der Schadensbeseitigung Maßnahmen unterlassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensminderung ergriffen hätte.“

(BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13)

Daher hat der BGH die Möglichkeit, sich auf die Verrechnungssätze markengebundener Werkstätten zu berufen, in weiteren Entscheidungen eingeschränkt.

„Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.“

(BGH, Urteil vom 22. Juni 2010 – VI ZR 302/08)

Jedoch muss der Versicherer beweisen, dass dies für den Geschädigten zumutbar ist. Dabei kommt dem Schädiger bzw. seiner Haftpflichtversicherung die Möglichkeit der richterlichen Schadensschätzung (§ 287 ZPO) zu Gute:

„Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht im Streitfall getroffenen Feststellungen durfte die Beklagte die Klägerin im Rahmen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB auf eine günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit in der benannten Karosseriefachwerkstatt verweisen. Für die technische Gleichwertigkeit der Reparatur der am Fahrzeug der Klägerin entstandenen Bagatellschäden hat das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass sämtliche benannten Fachbetriebe den „Eurogarant-Fachbetrieben“ angehören, deren hoher Qualitätsstandard regelmäßig vom TÜV oder der DEKRA kontrolliert werde. Es handele sich um Meisterbetriebe und Mitgliedsbetriebe des Zentralverbandes Karosserie- und Fahrzeugtechnik, die auf die Instandsetzung von Unfallschäden spezialisiert seien. Zudem erfolge die Reparatur nach dem unbestrittenen Beklagtenvortrag unter Verwendung von Originalteilen. Auf dieser Grundlage durfte sich das auch im Rahmen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Berufungsgericht ohne Rechtsfehler die Überzeugung bilden, dass die benannten Betriebe die Unfallschäden genauso kompetent beheben könnten wie eine markengebundene Vertragswerkstatt.“

(BGH, Urteil vom 13. Juli 2010 – VI ZR 259/09)

Konkreter wurde der BGH dann in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017. Der BGH differenziert in dieser Entscheidung zwischen Fahrzeugen, die jünger bzw. älter als drei Jahre sind:

„Der Schädiger kann den Geschädigten gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien“ Fachwerkstatt verweisen, wenn er darlegt und beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb einer markengebundenen Werkstatt unzumutbar machen würden (…)

Bei Fahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann der Verweis auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer „freien“ Fachwerkstatt insbesondere dann unzumutbar sein, wenn der Geschädigte konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen und dies vom Schädiger nicht widerlegt wird (…)

Ist ein über neun Jahre altes und bei dem Unfall verhältnismäßig leicht beschädigtes Fahrzeug zwar stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt repariert, dort aber in den letzten Jahren vor dem Unfall nicht mehr gewartet worden, ist der Verweis auf eine „freie“ Fachwerkstatt nicht unzumutbar.“

(BGH, Urteil vom 7. Februar 2017 – VI ZR 182/16)

Achtung: Die Möglichkeit der Versicherung, den Geschädigten auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt zu verweisen, besteht auch noch während eines laufenden Rechtsstreits (BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 – VI ZR 313/13; Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 320/12).

Bei Fahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es darauf ankommen, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, „scheckheftgepflegt“ oder gegebenenfalls nach einem Unfall repariert worden ist. In diesem Zusammenhang kann es dem Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine günstigere gleichwertige und ohne weiteres zugängliche Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt verweisen zu lassen, wenn er konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen oder – im Fall der konkreten Schadensberechnung – sein besonderes Interesse an einer solchen Reparatur durch die Reparaturrechnung belegt (BGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09).

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