Die konkrete und fiktive Schadensabrechnung beim Verkehrsunfall

Bei der Regulierung von Sachschäden nach einem Verkehrsunfall muss immer hinterfragt werden, ob eine Reparatur noch wirtschaftlich ist oder nicht. Davon hängt wiederum ab, was der Geschädigte konkret verlangen kann. Der Geschädigte darf sich durch den Schaden nämlich nicht bereichern.

Ermittelt wird dies nach dem so genannten „4-Stufen-Modell“, welches durch den Bundesgerichtshof (BGH) in mehreren Entscheidungen entwickelt wurde.

Für die Anwendung des 4-Stufen-Modells benötigt man folgende Kennzahlen:

  • Reparaturkosten (Kosten, welche eine vollständige Reparatur des beschädigten Fahrzeugs kostet)
  • Wertminderung (Betrag, den das Fahrzeug weniger wert ist, da es nicht mehr unfallfrei ist)
  • Reparaturaufwand (Reparaturkosten plus Wertminderung, ggf. minus Vorteilsausgleich „neu für alt“)
  • Wiederbeschaffungswert (Preis, zu dem ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug am Markt beschafft werden kann)
  • Restwert (Preis, zu dem das beschädigte Fahrzeug – oder was davon übrig ist – ohne vorherige Instandsetzung verkauft werden kann, siehe auch BGH, Urteil vom 21. Januar 1992 – VI ZR 142/91)
  • Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert minus Restwert)

Diese Kennzahlen werden regelmäßig durch den Sachverständigen in seinem Schadensgutachten ausgewiesen.

Bei einem Vergleich der Kennzahlen ist in der Regel auf die Bruttowerte abzustellen. Ist der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt, sind die Nettowerte heranzuziehen (BGH, Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08).

Unter Umständen sind bei der Gegenüberstellung der Kennzahlen auch unterschiedlich hohe Nutzungsausfallzeiten bzw. Mietwagenkosten zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90; OLG Celle, Urteil vom 07.11.2017 – 14 U 24/17).

Stufe 1: Reparaturaufwand ist geringer als der Wiederbeschaffungsaufwand

Der Geschädigte kann in diesem Fall seinen Schaden entweder fiktiv abrechnen (gegen Vorlage des Gutachtens) oder konkret abrechnen (gegen Vorlage der Reparaturrechnung). Umsatzsteuer kann der Geschädigte nur dann ersetzt verlangen, soweit sie bei Reparatur oder Wiederbeschaffung tatsächlich anfällt.

Der Geschädigte kann allerdings nicht zuerst fiktiv abrechnen und anschließend nach Reparatur in einer günstigeren Werkstatt die angefallene Umsatzsteuer ersetzt verlangen (keine „Rosinenpickerei“).

Entscheidet sich der Geschädigte für eine Ersatzbeschaffung und fällt dabei keine Umsatzsteuer an, erfolgt keine Abrechnung auf Brutto-Reparaturkostenbasis. Fällt bei einer Ersatzbeschaffung nachweislich Umsatzsteuer an, ist diese bis zur Höhe der im Gutachten für die Reparatur ausgewiesene Umsatzsteuer zu ersetzen.

Stufe 2: Reparaturaufwand liegt zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert

Hier hat der Geschädigte folgende Möglichkeiten:

Der Geschädigte kann fiktiv abrechnen (gegen Vorlage des Gutachtens), wenn das Fahrzeug zumindest noch fahrbereit und verkehrssicher ist (oder wieder fahrbereit und verkehrssicher gemacht wird) und der Geschädigte das Fahrzeug sechs Monate weiter nutzt, siehe BGH, Urteil vom 29. April 2008 – VI ZR 220/07:

„Ein Unfallgeschädigter kann (fiktiv) die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-) reparieren lässt (…)“

Der Geschädigte kann dann die Netto-Reparaturkosten zuzüglich Wertminderung verlangen. Siehe auch BGH, Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 393/02:

„Der Geschädigte kann zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren läßt und weiter nutzt. Die Qualität der Reparatur spielt jedenfalls so lange keine Rolle, als die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen.“

Der Geschädigte kann das Fahrzeug natürlich auch schon vor Ablauf von sechs Monaten veräußern. Allerdings kann der Geschädigte in diesem Fall fiktiv nur bis zur Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands abrechnen, vgl. z.B. BGH, Urteil vom 29. April 2008 – VI ZR 220/07:

„Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Geschädigte die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel jedoch nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und zu diesem Zweck – falls erforderlich – verkehrssicher (teil-) reparieren lässt (…)
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Geschädigte im Streitfall das Fahrzeug spätestens 22 Tage nach dem Unfall weiterveräußert mit der Folge, dass er nicht (fiktiv) die geschätzten Reparaturkosten, sondern nur den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen kann. Da er infolge der Weiterveräußerung den Restwert realisiert hat, muss er sich diesen bei der Schadensberechnung mindernd anrechnen lassen.“

Lässt der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich reparieren, kann er den Ersatz der Brutto-Reparaturkosten verlangen, sofern diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Einer sechsmonatigen Weiterbenutzung bedarf es in diesem Fall nicht, vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2008 – VI ZR 220/07:

„Der Geschädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, kann grundsätzlich Ersatz der Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen.“

Stufe 3: Reparaturaufwand liegt über Wiederbeschaffungswert (bis zu 130%)

Auch wenn der Reparaturaufwand den Wiederbeschaffungswert übersteigt, wird dem Geschädigten ein Interesse zugestanden, „sein“ Fahrzeug weiterfahren zu wollen und dieses daher reparieren zu lassen, auch wenn dies teurer ist als die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs. Der BGH billigt insoweit einen „Integritätszuschlag“ von 30% zu, siehe BGH, Urteil vom 15. Oktober 1991 – VI ZR 314/90:

„Der Geschädigte muß bei der Frage, ob er sein beschädigtes Kraftfahrzeug reparieren lassen oder sich ein Ersatzfahrzeug anschaffen soll, einen Vergleich der Reparaturkosten (einschließlich eines etwaigen Minderwerts) mit den Wiederbeschaffungskosten anstellen. Dabei erscheint es aus Gründen der einfachen und praktikablen Handhabung vertretbar, auf der Seite der Ersatzbeschaffung den Restwert des Fahrzeugs außer Betracht zu lassen und allein auf den Wiederbeschaffungswert abzustellen.

Der hohe Stellenwert des Integritätsinteresses rechtfertigt es, daß der Geschädigte für die Reparatur des ihm vertrauten Fahrzeugs Kosten aufwendet, die einschließlich des etwaigen Minderwerts den Wiederbeschaffungswert bis zu einer regelmäßig auf 130% zu bemessenden „Opfergrenze“ übersteigen.“

Der „Integritätszuschlag“ von 30% gilt grundsätzlich auch für gewerblich genutzte Fahrzeuge (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1998 – VI ZR 66/98).

Ein Anspruch auf Erstattung der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten besteht in solchen Fällen aber nur dann, wenn die Reparatur fachgerecht und vollständig erfolgt, d.h. in dem laut Gutachten kalkulierten Umfang (oder zumindest wertmäßig wie im Gutachten durchgeführt). Außerdem muss der Geschädigte das Fahrzeug nach dem Unfall 6 Monate weiter nutzen (das bedeutet aber nicht, dass der Ersatzanspruch erst sechs Monate nach dem Unfall fällig ist, vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2008 – VI ZB 22/08).

Ansonsten erfolgt eine Abrechnung nur auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwands.

Der Geschädigte darf allerdings auf Reparaturkostenbasis abrechnen, wenn die Reparatur unerwartet teurer geworden ist als im Gutachten angenommen (und dadurch die 130 %-Grenze überschreitet). Das sog. Prognoserisiko / Werkstattrisiko trägt der Schädiger (BGH, Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90).

Stufe 4: Reparaturaufwand entspricht mehr als 130% des Wiederbeschaffungswerts

Übersteigen die voraussichtlichen Reparaturkosten laut Gutachten 130% des Wiederbeschaffungswerts, ist eine Reparatur unwirtschaftlich („Totalschaden“). Siehe BGH, Urteil vom 10. Juli 2007 – VI ZR 258/06:

„Liegen die (voraussichtlichen) Kosten der Reparatur eines Kraftfahrzeugs mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, so ist die Instandsetzung in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig und der Geschädigte kann vom Schädiger nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen“

Der Geschädigte kann dann vom Schädiger grundsätzlich nur den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen. Umsatzsteuer kann der Geschädigte nur dann ersetzt verlangen, soweit sie bei Wiederbeschaffung tatsächlich anfällt.

(Stand:

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