Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass einem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall, der zunächst seinen Fahrzeugschaden fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechnet hat, dennoch ein rechtliches Interesse an der gerichtlichen Feststellung zusteht, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung auch für künftige materielle Schäden aus demselben Unfallereignis einzustehen hat (BGH, Urteil vom 08.04.2025 – VI ZR 25/24).
Anlass des Rechtsstreits war ein Verkehrsunfall, bei dem das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug beim Ausparken mit dem Fahrzeug der Klägerin kollidierte. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach war unstreitig. Die Klägerin rechnete zunächst fiktiv auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens ab, die beklagte Versicherung regulierte jedoch nur teilweise.
Neben der weiteren Zahlung klagte die Klägerin auch auf Feststellung, dass die Beklagte sämtliche künftigen materiellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen habe. Das Amtsgericht Erding gab der Klage im Wesentlichen statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landgericht Landshut den Feststellungsantrag ab mit der Begründung, ein Feststellungsinteresse bestehe nicht, weil die Haftung unstreitig sei und die Möglichkeit weiterer Schäden allein vom Willen der Klägerin abhänge, ihr Fahrzeug doch noch reparieren zu lassen.
Der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil auf. Nach Auffassung des BGH fehlte es der Klägerin nicht am erforderlichen Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Zwar sei die Haftung dem Grunde nach unstreitig, doch folge hieraus für den Geschädigten keine mit einem gerichtlichen Feststellungsurteil vergleichbare Rechtssicherheit. Zudem reiche für das Feststellungsinteresse aus, dass die Möglichkeit weiterer Schäden nicht fernliegend sei, auch wenn diese vom Verhalten des Geschädigten abhängen.
Zusammenfassend bejahte der Bundesgerichtshof das Feststellungsinteresse des Geschädigten auch dann, wenn dieser zunächst nur fiktiv abrechnet, solange die Möglichkeit einer späteren konkreten Abrechnung nicht ausgeschlossen ist.
Hintergrund
Der Geschädigte eines Kfz-Sachschadens hat gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Wahl zwischen fiktiver Abrechnung nach Gutachten und konkreter Abrechnung nach tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten. Diese Wahlfreiheit besteht auch dann fort, wenn der Geschädigte zunächst fiktiv abrechnet. Der Geschädigte darf auch noch später zur konkreten Abrechnung übergehen und sodann auch Mehrwertsteuer und etwaigen Nutzungsausfall geltend machen.
Entsprechend darf der Geschädigte nach Auffassung des BGH auch im Rahmen einer Feststellungsklage geltend machen, dass die Möglichkeit weiterer Schäden – hier in Form der Kosten einer späteren Reparatur – nicht ausgeschlossen sei. Nach dem BGH ist es nicht erforderlich, dass der Geschädigte schon bei Klageerhebung den festen Willen zur Reparatur nachweist. Es genüge vielmehr, dass aus seiner Sicht nach verständiger Würdigung die Möglichkeit einer Reparatur nicht ausgeschlossen sei.
Das Feststellungsinteresse kann jedoch z.B. entfallen, wenn der Kläger sein Fahrzeug während des laufenden Rechtsstreits in erster Instanz veräußert (BGH, Urteil vom 25.03.2025 – VI ZR 277/24).
