Wer einen Verkehrsunfall verursacht, muss die Reparaturkosten zahlen?

Ganz so einfach ist es nicht. Bei der Regulierung von Sachschäden nach einem Verkehrsunfall muss immer hinterfragt werden, ob eine Reparatur noch wirtschaftlich ist oder nicht. Davon hängt wiederum ab, was der Geschädigte konkret verlangen kann. Der Geschädigte darf sich durch den Schaden nämlich nicht bereichern.

Ermittelt wird dies nach dem so genannten “4-Stufen-Modell”, welches durch den Bundesgerichtshof (BGH) in mehreren Entscheidungen entwickelt wurde.

Kennzahlen des 4-Stufen-Modells

Für die Anwendung des 4-Stufen-Modells benötigt man folgende Kennzahlen:

  • Reparaturkosten (Kosten, welche eine vollständige Reparatur des beschädigten Fahrzeugs kostet)

  • Wertminderung (Betrag, den das Fahrzeug weniger wert ist, da es nicht mehr unfallfrei ist)

  • Reparaturaufwand (Reparaturkosten plus Wertminderung, ggf. minus Vorteilsausgleich “neu für alt”)

  • Wiederbeschaffungswert (Preis, zu dem ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug am Markt beschafft werden kann)

  • Restwert (Preis, zu dem das beschädigte Fahrzeug - oder was davon übrig ist - ohne vorherige Instandsetzung verkauft werden kann)

  • Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert minus Restwert)

Diese Kennzahlen werden regelmäßig durch den Sachverständigen in seinem Schadensgutachten ausgewiesen.

Bei einem Vergleich der Kennzahlen ist in der Regel auf die Bruttowerte abzustellen. Ist der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt, sind die Nettowerte heranzuziehen (BGH, Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08).

Unter Umständen sind bei der Gegenüberstellung der Kennzahlen auch unterschiedlich hohe Nutzungsausfallzeiten bzw. Mietwagenkosten zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991 - VI ZR 314/90; OLG Celle, Urteil vom 07.11.2017 – 14 U 24/17).

Stufe 1: Reparaturkosten liegen über Wiederbeschaffungswert (mehr als 130%)

Übersteigen die voraussichtlichen Reparaturkosten laut Gutachten 130% des Wiederbeschaffungswerts, ist eine Reparatur unwirtschaftlich (“Totalschaden”).

Der Geschädigte kann dann vom Schädiger grundsätzlich nur den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen. Umsatzsteuer kann der Geschädigte nur dann ersetzt verlangen, soweit sie bei Wiederbeschaffung tatsächlich anfällt.

Stufe 2: Reparaturaufwand liegt über Wiederbeschaffungswert (bis zu 130%)

In diesem Fall besteht ein Anspruch auf Erstattung der tatsächlich angefallenen Reparaturkosten nur dann, wenn die Reparatur fachgerecht und vollständig erfolgt, d.h. in dem laut Gutachten kalkulierten Umfang (oder zumindest wertmäßig wie im Gutachten durchgeführt).

Auch in diesem Fall kann der Geschädigte die Reparaturkosten in der Regel nur dann verlangen, wenn er das Fahrzeug nach dem Unfall 6 Monate weiter nutzt (das bedeutet aber nicht, dass der Ersatzanspruch erst sechs Monate nach dem Unfall fällig ist, vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2008 – VI ZB 22/08).

Ansonsten erfolgt eine Abrechnung nur auf Basis des Wiederbeschaffungsaufwands.

Der Geschädigte darf allerdings auf Reparaturkostenbasis abrechnen, wenn die Reparatur unerwartet teurer geworden ist als im Gutachten angenommen (und dadurch die 130 %-Grenze überschreitet). Das sog. Prognoserisiko / Werkstattrisiko trägt der Schädiger (BGH, Urteil vom 15.10.1991 - VI ZR 314/90).

Stufe 3: Reparaturaufwand liegt zwischen Wiederbeschaffungsaufwand und Wiederbeschaffungswert

Hier hat der Geschädigte folgende Möglichkeiten:

Der Geschädigte kann fiktiv abrechnen (gegen Vorlage des Gutachtens), wenn das Fahrzeug zumindest noch fahrbereit und verkehrssicher ist (oder wieder fahrbereit und verkehrssicher gemacht wird) und der Geschädigte das Fahrzeug sechs Monate weiter nutzt (BGH, Urteil vom 29. April 2008 - VI ZR 220/07). Der Geschädigte kann dann die Netto-Reparaturkosten zuzüglich Wertminderung verlangen.

Der Geschädigte kann das Fahrzeug auch (schon vor Ablauf von sechs Monaten) veräußern. Der Geschädigte kann dann die fiktiven Netto-Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands verlangen.

Lässt der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich reparieren, kann er den Ersatz der Reparaturkosten verlangen, sofern diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen. Einer sechsmonatigen Weiterbenutzung bedarf es in diesem Fall nicht (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2008 - VI ZR 220/07).

Stufe 4: Reparaturaufwand ist geringer als der Wiederbeschaffungsaufwand

Der Geschädigte kann in diesem Fall seinen Schaden entweder fiktiv abrechnen (gegen Vorlage des Gutachtens) oder konkret abrechnen (gegen Vorlage der Reparaturrechnung). Umsatzsteuer kann der Geschädigte nur dann ersetzt verlangen, soweit sie bei Reparatur oder Wiederbeschaffung tatsächlich anfällt.

Der Geschädigte kann allerdings nicht zuerst fiktiv abrechnen und anschließend nach Reparatur in einer günstigeren Werkstatt die angefallene Umsatzsteuer ersetzt verlangen (keine “Rosinenpickerei”).

Entscheidet sich der Geschädigte für eine Ersatzbeschaffung und fällt dabei keine Umsatzsteuer an, erfolgt keine Abrechnung auf Brutto-Reparaturkostenbasis. Fällt bei einer Ersatzbeschaffung nachweislich Umsatzsteuer an, ist diese bis zur Höhe der im Gutachten für die Reparatur ausgewiesene Umsatzsteuer zu ersetzen.