Grundsätzlich sind abgeschlossene Verträge auch einzuhalten. Bei Verbraucherverträgen gibt es allerdings einige Ausnahmen. Das Gesetz räumt Verbrauchern bei diversen Rechtsgeschäften ein Widerrufsrecht ein. Das Widerrufsrecht ermöglicht es dem Verbraucher, sich innerhalb der Widerrufsfrist ohne besonderen Grund vom Vertrag zu lösen.
- Für welche Vertragstypen besteht ein Widerrufsrecht?
- Was bewirkt das Widerrufsrecht?
- Wie lange ist die Widerrufsfrist?
- Kann der Widerruf auch mündlich erklärt werden?
- Können auch Handwerkerverträge widerrufen werden?
- Gilt das Widerrufsrecht gegenüber allen Kunden eines Handwerkers?
- In welchen Fällen müssen Handwerker über das Widerrufsrecht belehren?
Für welche Vertragstypen besteht ein Widerrufsrecht?
Ein Widerrufsrecht besteht beispielsweise bei folgenden Verträgen:
- Fernabsatzverträge
- außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge (früher „Haustürgeschäfte“)
- Teilzeit-Wohnrechteverträge
- Verträge über ein langfristiges Urlaubsprodukt
- Verbraucherdarlehensverträge
- Ratenlieferungsverträge
- Verbraucherbauverträge
Was bewirkt das Widerrufsrecht?
Wenn einem Verbraucher ein gesetzliches Widerrufsrecht zusteht, kann sich der Verbraucher innerhalb einer bestimmten Frist (häufig 14 Tage) durch bloße Widerrufserklärung vom Vertrag lösen. Eine Begründung dafür ist nicht erforderlich.
Wie lange ist die Widerrufsfrist?
Die gesetzlich vorgeschriebene Widerrufsfrist beträgt 14 Tage.
Möglich ist aber auch, dass die gesetzlich vorgeschriebene Widerrufsbelehrung Fehler enthält und damit die Widerrufsfrist gar nicht zu Laufen beginnt. Ein Widerruf kann dann auch nach Ablauf von 14 Tagen ausgeübt werden.
Kann der Widerruf auch mündlich erklärt werden?
Das Widerrufsrecht kann grundsätzlich formfrei, also auch mündlich ausgeübt werden. Das Gesetz schreibt insoweit keine bestimmte Form mehr vor:
„§ 355 Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen
(1) Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so sind der Verbraucher und der Unternehmer an ihre auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mehr gebunden, wenn der Verbraucher seine Willenserklärung fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer. Aus der Erklärung muss der Entschluss des Verbrauchers zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgehen. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
(§ 355 Abs. 1 BGB)
Hintergrund hierfür ist eine Neuregelung durch das Verbraucherrechte-RL-UG, wonach ein Widerruf grundsätzlich an keine Form mehr gebunden ist und daher auch mündlich erfolgen kann. Eine Ausnahme besteht gemäß § 356a Abs. 1 BGB für die Ausübung des Widerrufsrechts bei Teilzeitwohnrechte-Verträgen, wonach der Widerruf in Textform (§ 126b) zu erklären ist.
Können auch Handwerkerverträge widerrufen werden?
Viele Handwerksbetriebe sind sich nicht bewusst darüber, dass ihnen bei Aufträgen von Endverbrauchern erhebliche wirtschaftliche Risiken drohen, wenn diese beim Kunden zu Hause erteilt wurden. Auch hier kann der so genannte „Widerrufsjoker“ drohen.
Beispiel: Herr Schmitz ist Dachdecker und geht gerade seiner Arbeit beim Kunden Müller nach. Dabei kommt er mit Herrn Meyer, dem Nachbarn seines Kunden ins Gespräch. Herrn Schmitz ist nämlich aufgefallen, dass das Dach von Herrn Meyer sanierungsbedürftig ist. Herr Meyer zeigt sich interessiert und möchte sein Dach durch Herrn Schmitz sanieren lassen. Zwei Tage später bringt Herr Schmitz ein schriftliches Angebot mit. Herr Meyer unterschreibt das Angebot vor Ort. Herr Schmitz führt seine Arbeiten vollständig durch und erhält hierfür von Herrn Meyer 36.656,30 € Werklohn. Zwei Monate später erklärt Herr Meyer über seinen Anwalt den Widerruf des Werkvertrags und fordert dazu auf, den gesamten erhaltenen Werklohn zurückzuzahlen.
Der zuvor dargestellte Fall wurde vom Landgericht Stuttgart entschieden (LG Stuttgart, Urteil vom 02. Juni 2016 – 23 O 47/16). Das Landgericht verurteilte den Dachdecker zur Rückzahlung des gesamten Werklohns. Er bekam letztlich keinen Cent für seine Arbeiten.
Der Dachdecker hat nicht beachtet, dass Mitte 2014 in Deutschland die europäische Verbraucherrechterichtlinie umgesetzt wurde. Durch die Verbraucherrechterichtlinie wurden etliche Vorschriften im BGB geändert, unter anderem die Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen.
Das frühere „Haustürwiderrufsrecht“ (Stichwort Staubsaugervertreter) gibt es seitdem nicht mehr. Es wurde abgelöst durch das Widerrufsrecht bei „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“ (§ 312b BGB). Darunter fallen quasi alle Verträge mit Verbrauchern, die außerhalb von Geschäftsräumen des Handwerkers abgeschlossen werden (z.B. zu Hause beim Kunden).
In solchen Fällen kann dem Verbraucher ein Widerrufsrecht zustehen, über das er belehrt werden muss. Erfolgt die Belehrung nicht, kann der Verbraucher den Vertrag 1 Jahr und 14 Tage lang widerrufen! Die Rechtsfolgen sind verheerend: Der Handwerker verliert seinen Werklohnanspruch.
Die oben dargestellte Entscheidung ist kein Einzelfall. In der Vergangenheit haben Gerichte wiederholt entschieden, dass Verbraucher, die einem Handwerker zu Hause einen Auftrag erteilt haben, aus dem durchgeführten Vertrag „zum Nulltarif“ herauskommen können, weil sie nicht über ihr gesetzliches Widerrufsrecht belehrt wurden (vgl. z.B. AG Bad Segeberg, Urteil vom 13. April 2015 – 17 C 230/14 oder LG Münster, Urteil vom 04. November 2015 – 02 O 127/15).
Dass Verbraucher zu Hause abgeschlossene Verträge mit Handwerkern widerrufen können, wurde 2018 auch vom Bundesgerichtshof bestätigt (BGH, Urteil vom 30.8.2018 – VII ZR 243/17).
Gilt das Widerrufsrecht gegenüber allen Kunden eines Handwerkers?
Nein. Das Widerrufsrecht gilt nur gegenüber Verbrauchern, nicht gegenüber Unternehmern. Wenn ein Handwerker also einen Auftrag als Subunternehmer für ein Bauunternehmen ausführt, droht kein Widerruf.
In welchen Fällen müssen Handwerker über das Widerrufsrecht belehren?
Immer dann, wenn ein Handwerker von einem Verbraucher außerhalb seiner Geschäftsräume einen Auftrag annimmt, sollte er prüfen, ob ggf. ein Widerrufsrecht besteht, über das er den Kunden belehren muss.
Wurde der Auftrag außerhalb der Geschäftsräume des Handwerkers angenommen (z.B. zu Hause beim Kunden), gibt es für den Handwerker folgende Ausnahmen, in denen nicht belehrt werden muss:
- Wenn der Auftrag auf die Herstellung und Lieferung einer Ware gerichtet ist, die individuell nach Kundenwünschen hergestellt werden oder speziell auf seine Bedürfnisse zugeschnitten sind (§ 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB). Das betrifft zum Beispiel die Herstellung und Lieferung von individuell nach Kundenwunsch angefertigten Stühlen durch einen Tischler. Der Bundesgerichtshof hat aber ausdrücklich entschieden, dass diese Ausnahmevorschrift nur für Kaufverträge und Werklieferungsverträge gilt (BGH, Urteil vom 30.8.2018 – VII ZR 243/17). Handelt es sich um einen reinen Werkvertrag, ist diese Ausnahme nicht anwendbar.
- Wenn der Kunde den Handwerker ausdrücklich aufgefordert hat, ihn aufzusuchen, um dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen, z.B. bei einem Rohrbruch oder Heizungsausfall (§ 312g Abs. 2 Satz 1 Nr. 11 BGB).
- Wenn die Leistung bei Abschluss der Verhandlungen sofort erbracht und bezahlt wird und das vom Verbraucher zu zahlende Entgelt 40 Euro nicht überschreitet (§ 312 Abs. 2 Nr. 12 BGB).
(Achtung: Im Internet findet man einige ältere Beiträge, in denen noch der Neubau oder Umbau von Gebäuden als Ausnahme genannt wird. Das ist mittlerweile überholt, weil für Verbraucherbauverträge ein eigenes Widerrufsrecht existiert, § 650l BGB.)
In allen anderen Fällen sollten Handwerker ihre Verbraucher-Kunden zur Auftragserteilung in sein Büro bestellen oder eine schriftliche Widerrufsbelehrung erteilen!