Handwerker-Widerruf

Verträge mit Handwerkern werden häufig außerhalb der Geschäftsräume des Handwerkers abgeschlossen. Was hierbei häufig nicht beachtet wird: Verbrauchern steht in solchen Fällen grundsätzlich ein 14tägiges Widerrufsrecht zu (vgl. §§ 312b, 312g BGB). Wird der Verbraucher über dieses Widerrufsrecht nicht oder nicht korrekt belehrt, verlängert sich die Widerrufsfrist um 12 Monate. Verbraucher können derartige Fehler nutzen, um kostenlos von Handwerkerverträgen Abstand zu nehmen, selbst wenn die Arbeiten bereits ausgeführt wurden. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 17. Mai 2023 klargestellt (Rechtssache C-97/22).

Inhaltsverzeichnis

Welche Konsequenzen drohen bei fehlender oder falscher Widerrufsbelehrung?

Weil ein Elektrikerunternehmen dies nicht beachtete, verlor es seinen kompletten Anspruch auf Bezahlung, obwohl die vertraglich vereinbarten Leistungen vollständig erbracht wurden.

Was war passiert? Anfang Oktober 2020 schloss ein Verbraucher mit einem Unternehmen mündlich einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation in seinem Anwesen. Der Verbraucher erhielt jedoch keine Belehrung über sein Widerrufsrecht.

Nach Erbringung der vertraglichen Leistungen stellte das Unternehmen eine entsprechende Rechnung. Die Rechnung wurde jedoch nicht bezahlt.

Am 17. März 2021 erklärte der Verbraucher den Widerruf des Vertrags. Da er die Rechnung weiterhin nicht bezahlte, wurde er vor dem LG Essen auf Zahlung der Rechnung verklagt.

Der Verbraucher berief sich darauf, dass das Unternehmen versäumt habe, ihn ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht zu belehren. Er sei daher auch noch 5 Monate später berechtigt gewesen, den Vertrag zu widerrufen.

Das LG Essen folgte dieser Auffassung, fragte sich jedoch, ob der Verbraucher für die bereits geleisteten Arbeiten Wertersatz zahlen müsse. Schließlich habe er durch die Erneuerung der Elektroinstallationen einen Vermögenszuwachs erlangt. Das LG Essen legte diese Rechtsfrage daher dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH stellte daraufhin mit Urteil vom 17.05.2023 (C-97/22) Folgendes klar:

Bei einem Dienstleistungsvertrag, der außerhalb von Geschäftsräumen des Unternehmers abgeschlossen wurde, kann der Verbraucher nach einem wirksamen Widerrufs grundsätzlich nicht mehr auf Zahlung in Anspruch genommen werden.

Wenn der Unternehmer es unterlässt, den Verbraucher ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht zu belehren, hat dies zur Folge, dass sich die Widerrufsfrist um zwölf Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist verlängert.

Dabei spielt es keine Rolle, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht.

Der Unternehmer kann in solchen Fällen auch keinen Wertersatz für seine erbrachten Leistungen mehr verlangen. Die fehlende Widerrufsbelehrung führt dazu, dass der Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreit wird.

Mit anderen Worten: Das Unternehmen hat seine Leistungen zum Nulltarif erbracht.

Die Entscheidung des EuGH gilt nicht nur für größere Handwerksunternehmen, sondern auch für „Einzelkämpfer“. Auf die Unternehmensform kommt es nicht an.

Wann liegt ein Vertragsabschluss außerhalb von Geschäftsräumen vor?

Nicht jede Konstellation führt zu einem Vertragsabschluss außerhalb von Geschäftsräumen (und damit zu einem Widerrufsrecht).

Wann ein Vertragsabschluss außerhalb von Geschäftsräumen vorliegt, ist in § 312b BGB geregelt:

„(1) Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind Verträge,

1. die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist,

2. für die der Verbraucher unter den in Nummer 1 genannten Umständen ein Angebot abgegeben hat,

3. die in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen werden, bei denen der Verbraucher jedoch unmittelbar zuvor außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers persönlich und individuell angesprochen wurde, oder

4. die auf einem Ausflug geschlossen werden, der von dem Unternehmer oder mit seiner Hilfe organisiert wurde, um beim Verbraucher für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu werben und mit ihm entsprechende Verträge abzuschließen.

Dem Unternehmer stehen Personen gleich, die in seinem Namen oder Auftrag handeln.

(2) Geschäftsräume im Sinne des Absatzes 1 sind unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Gewerberäume, in denen die Person, die im Namen oder Auftrag des Unternehmers handelt, ihre Tätigkeit dauerhaft oder für gewöhnlich ausübt, stehen Räumen des Unternehmers gleich.

Einem Verbraucher steht zum Beispiel kein Widerrufsrecht zu, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt (BGH, Urteil vom 6. Juli 2023, VII ZR 151722):

Aus den Entscheidungsgründen des BGH:

„Eine gegenüber dem Angebot des Unternehmers derart zeitlich versetzte Auftragserteilung wird von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB nicht erfasst. Diese Vorschrift, mit der die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 (Verbraucherrechterichtlinie) ins deutsche Recht umgesetzt wird und die mit der Bestimmung in Art. 2 Nr. 8 a) der Verbraucherrechterichtlinie inhaltlich übereinstimmt, ist richtlinienkonform im Lichte dieser Richtlinie auszulegen, wobei bei der Auslegung zu beachten ist, dass nach Art. 4 der Richtlinie eine Vollharmonisierung der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Vorschriften angestrebt wird. Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen liegt danach nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 16. Dezember 2021 – 7 U 12/20, BauR 2022, 1358 = NZBau 2022, 222, juris Rn. 40; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 312b Rn. 6; Staudinger/Thüsing (2019) BGB, § 312b Rn. 19; Maume in: BeckOK BGB Hau/Poseck, Stand: 1. Mai 2023, § 312b Rn. 17).

Für diese – schon nach dem Wortlaut naheliegende – Auslegung von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB spricht auch der mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgte Zweck. Aus dem Erwägungsgrund Nr. 21 der Richtlinie ergibt sich, dass von der Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge Situationen nicht erfasst werden sollen, in denen der Unternehmer zunächst in die Wohnung des Verbrauchers kommt, um ohne jede Verpflichtung des Verbrauchers lediglich Maße aufzunehmen oder eine Schätzung vorzunehmen, und der Vertrag danach erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Geschäftsräumen des Unternehmers auf der Grundlage der Schätzung des Unternehmers abgeschlossen wird. Dies wird damit begründet, dass der Verbraucher in einem solchen Fall Gelegenheit hatte, vor Vertragsschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken.“

(BGH, Urteil vom 6. Juli 2023, VII ZR 151722)

Gilt das Widerrufsrecht auch bei Produkten, die für den Verbraucher speziell angefertigt werden?

Ein Verbraucherwiderrufsrecht gilt nach § 312g Abs. 2 Satz 1 BGB nicht für

„Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind“

Als Handwerker könnte man daher auf die Idee kommen, dass dem Verbraucher deswegen schon kein Widerrufsrecht zusteht, weil das versprochene Werk speziell auf den Verbraucher zugeschnitten ist.

Das Problem ist jedoch, dass § 312g Abs. 2 Satz 1 BGB nur die „Lieferung von Waren“ betrifft.

§ 312g Abs. 2 Satz 1 BGB gilt nicht für Werkverträge, wie der Bundesgerichtshof z. B. für einen Treppenlift mit einer angepassten Laufschiene entschieden hat:

„Ein Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts mit einer individuell erstellten, an die Wohnverhältnisse des Kunden angepassten Laufschiene ist ein Werkvertrag. Wird ein solcher Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen mit einem Verbraucher geschlossen, steht diesem ein Widerrufsrecht nach § 312g I BGB zu, weil der in § 312g II Nr. 1 BGB vorgesehene Ausschluss dieses Rechts Werkverträge nicht erfasst.“

(BGH, Urteil vom 20.10.2021 – I ZR 96/20)

Sobald also ein Werkvertrag vorliegt, hilft § 312g Abs. 2 Satz 1 BGB dem Handwerker nicht weiter.

(Stand:

)