Wie werden Anwaltskosten berechnet?

Für die Berechnung von Anwaltskosten gibt es faktisch zwei Möglichkeiten:

  • Berechnung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)

  • Berechnung nach Vergütungsvereinbarung

Wann erfolgt die Abrechnung nach RVG?

Die Abrechnung anwaltlicher Leistungen erfolgt automatisch nach den gesetzlichen Gebühren (RVG), sofern nichts anderes vereinbart wurde. Ein Honorar, das von den gesetzlichen Gebühren abweicht, bedarf stets einer gesonderten Vergütungsvereinbarung. Solange also zwischen Anwalt und Mandant keine Vergütungsvereinbarung getroffen wird, gelten die gesetzlichen Gebühren nach dem RVG.

Was ist der Vorteil einer Abrechnung nach RVG?

Der Vorteil für den Mandanten bei einer Abrechnung nach dem RVG ist, dass die anfallenden Gebühren gesetzlich festgelegt sind. Ein Anwalt, der nach dem RVG abrechnet, kann somit nicht teurer sein als ein anderer Anwalt, der ebenfalls nach dem RVG abrechnet. Die Gebühren sind dann identisch, unabhängig davon, ob ein Anwalt mehr Zeit für die Angelegenheit benötigt oder weniger.

Was ist der Nachteil einer Abrechnung nach RVG?

Der Nachteil einer Abrechnung nach RVG ist, dass diese für den Mandanten meistens schwer nachvollziehbar ist. Das RVG erhält neben verschiedenen allgemeinen Vorschriften ein Vergütungsverzeichnis mit etlichen Gebührentatbeständen, aus welchem sich die einzelnen Gebühren ergeben, die ein Anwalt für seine Tätigkeit berechnet. Eine Abrechnung nach tatsächlichem Zeitaufwand ist hier z.B. wesentlich einfacher nachzuvollziehen.

Wie hoch sind die RVG-Gebühren in Zivilsachen?

In zivilrechtlichen Angelegenheiten (also z.B. wenn es um Geldforderungen, vertragliche Ansprüche oder um Schadensersatz geht) richten sich die Gebühren nach dem so genannten Gegenstandswert (auch “Streitwert” genannt).

“Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).”

(§ 2 Abs. 1 RVG)

Das bedeutet: Je höher der Gegenstandswert, desto höher ist das Honorar des Rechtsanwalts. Die Abrechnung nach solchen “Wertgebühren” kennt man z.B. auch bei Steuerberatern.

Um die RVG-Gebühren in Zivilsachen zu berechnen, ermittelt man zunächst den jeweils einschlägigen Gebührentatbestand (was hat der Anwalt gemacht?). Anschließend ermittelt man den Gegenstandswert (um wie viel ging es?). Aus der Gebührentabelle kann man dann die jeweilige Gebühr in EUR ablesen. Das Vergütungsverzeichnis und die Gebührentabelle findet man unter folgenden Links:

https://www.gesetze-im-internet.de/rvg/anlage_1.html

https://www.gesetze-im-internet.de/rvg/anlage_2.html

In Zivilsachen unterscheidet man dabei hauptsächlich zwischen außergerichtlichen Tätigkeiten und gerichtlichen Tätigkeiten.

Was kostet eine Erstberatung?

Für den Bereich der außergerichtlichen Beratung sind nach dem RVG keine gesetzlichen Gebühren vorgesehen. Stattdessen bestimmt § 34 RVG, dass für die außergerichtliche Beratung, für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens und für die Tätigkeit als Mediator der Rechtsanwalt auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken soll.

Wird keine Gebührenvereinbarung getroffen, erhält der Anwalt Gebühren nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts (also die “ortsübliche” Vergütung). Ist der Mandant Verbraucher, erhält der Anwalt für eine Beratung oder für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens eine Gebühr in Höhe von jeweils höchstens 250 EUR. Für ein reines Erstberatungsgespräch beträgt die Gebühr gegenüber einem Verbraucher höchstens 190 EUR.

Welche RVG-Gebühren fallen bei außergerichtlichen Tätigkeiten in Zivilsachen an?

Für außergerichtliche Tätigkeiten, also z.B.

  • für die Vertretung eines Mandanten gegen einen Gegner (außerhalb eines Gerichtsverfahrens) oder

  • für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags

fällt regelmäßig eine Geschäftsgebühr (Nr. 2300), eine Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002) und die gesetzliche Umsatzsteuer an.

Die Geschäftsgebühr ist dabei eine Pauschalgebühr, das heißt der Anwalt bekommt nicht etwa eine gesonderte Gebühr für jedes Schreiben, sondern die Geschäftsgebühr deckt die gesamte außergerichtliche Angelegenheit ab.

Beispiel 1: Der Mandant beauftragt einen Rechtsanwalt damit, ihn gegen ein Inkassounternehmen zu vertreten, um eine Forderung abzuwehren. Die Forderung (=Gegenstandswert) beträgt 499,90 EUR. Der Rechtsanwalt übernimmt für seinen Mandanten den Schriftverkehr und schreibt zwei (oder drei) Briefe an das Inkassounternehmen. Danach ist die Sache erledigt.

Im Beispiel 1 erhält der Rechtsanwalt folgende Gebühren:

Erhöht sich der Gegenstandswert, erhöhen sich auch die Gebühren des Rechtsanwalts, wie das nachfolgende Beispiel zeigt:

Beispiel 2 (Grundfall wie Beispiel 1): Der Mandant beauftragt einen Rechtsanwalt damit, ihn gegen ein Inkassounternehmen zu vertreten, um eine Forderung abzuwehren. Die Forderung (=Gegenstandswert) beträgt diesmal jedoch 3.500,- EUR. Der Rechtsanwalt übernimmt für seinen Mandanten den Schriftverkehr und schreibt einen Brief an das Inkassounternehmen. Danach ist die Sache erledigt.

Im Beispiel 2 erhält der Rechtsanwalt folgende Gebühren:

Kommt es unter Mitwirkung des Rechtsanwalts zu einem Vergleich zwischen dem Mandanten und dem Unternehmen, erhält der Rechtsanwalt außerdem eine zusätzliche Einigungsgebühr (Nr. 1000).

Beispiel 3: Der Mandant beauftragt einen Rechtsanwalt damit, ihn gegen ein Unternehmen zu vertreten, um eine Forderung abzuwehren. Die Forderung (=Gegenstandswert) beträgt 6.000,- EUR. Der Rechtsanwalt übernimmt für seinen Mandanten den Schriftverkehr und schreibt mehrere Briefe an das Unternehmen. Da unklar ist, ob der Mandant tatsächlich zur Zahlung verpflichtet ist, schließt der Rechtsanwalt nach Rücksprache mit seinem Mandanten und dem Unternehmen einen Vergleich: Der Mandant verpflichtet sich darin, an das Unternehmen nur 3.000,- EUR statt 6.000,- EUR zu zahlen. Damit ist die Sache erledigt.

Im Beispiel 3 erhält der Rechtsanwalt folgende Gebühren:

Welche RVG-Gebühren fallen bei gerichtlichen Tätigkeiten in Zivilsachen an?

Für gerichtliche Tätigkeiten, also z.B.

  • für die Prozessvertretung eines Mandanten vor dem Landgericht im erstinstanzlichen Klageverfahren

  • für die Prozessvertretung eines Mandanten vor dem Oberlandesgericht im Berufungsverfahren

fällt regelmäßig eine Verfahrensgebühr (Nr. 3100), eine Terminsgebühr (Nr. 3104), eine Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002) und die gesetzliche Umsatzsteuer an. Hinzu kommen ggf. weitere Auslagen, z.B. für Reisekosten des Rechtsanwalts zu einem auswärtigen Gerichtstermin.

Auch hier gilt: Die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr sind Pauschalgebühren, die nur einmal anfallen (egal wie viele Gerichtstermine stattfinden).

Beispiel 4: Der Mandant beauftragt einen Rechtsanwalt aus Köln damit, ein Unternehmen aus Düsseldorf auf Zahlung von 10.000,- EUR Schadensersatz (=Gegenstandswert) zu verklagen. Der Rechtsanwalt reicht Klage beim zuständigen Landgericht Düsseldorf ein. Es findet ein mündlicher Verhandlungstermin statt, zu welchem der Rechtsanwalt mit seinem eigenen Auto anreist. Danach ergeht ein Urteil.

Im Beispiel 4 erhält der Rechtsanwalt folgende Gebühren:

Auch im gerichtlichen Verfahren erhält der Rechtsanwalt eine (verringerte) Einigungsgebühr, wenn es zu einem Vergleich kommt:

Beispiel 5: Der Mandant beauftragt einen Rechtsanwalt aus Köln damit, ein Unternehmen aus Düsseldorf auf Zahlung von 10.000,- EUR Schadensersatz (=Gegenstandswert) zu verklagen. Der Rechtsanwalt reicht Klage beim zuständigen Landgericht Düsseldorf ein. Im schriftlichen Vorverfahren weist das Gericht auf die unklare Beweislage hin und unterbreitet einen Vergleichsvorschlag, wonach der Mandant vom Unternehmen 5.000,- EUR erhalten soll. Beide Parteien sind damit einverstanden, das Gericht protokolliert einen Vergleichsbeschluss, eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Verfahren ist damit beendet.

Im Beispiel 5 erhält der Rechtsanwalt folgende Gebühren:

Wo finde ich einen RVG-Rechner?

Zur ersten Orientierung, mit welchen RVG-Gebühren man in Zivilsachen rechnen muss, bieten sich diverse Gebührenrechner im Internet an. Dort kann man den Gegenstandswert eingeben und auswählen, welche Tätigkeiten berechnet werden sollen (z.B. außergerichtliche Tätigkeit, Anzahl der gerichtlichen Instanzen).

Mein aktueller persönlicher Favorit hierfür ist der Prozesskostenrechner von rvg-rechner.de:

https://www.rvg-rechner.de/

Natürlich gibt es auch noch etliche weitere Gebührenrechner, z.B. hier:

https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/apps/prozesskostenrechner

https://www.juris.de/jportal/nav/services/prozesskostenrechner/index.jsp

https://www.rechtsanwaltsgebuehren.de/

https://www.allianz.de/recht-und-eigentum/rechtsschutzversicherung/prozesskosten/rechner/

https://www.foris.com/prozesskostenrechner/

Für Geräte mit dem Apfel-Logo gibt es außerdem eine wirklich nett gemachte App namens RVG-Pro:

https://apps.apple.com/de/app/rvg-pro/id477240250

Welche RVG-Gebühren fallen in Straf- und Bußgeldsachen an?

In Straf- und Bußgeldsachen gibt es keinen Gegenstandswert (und damit auch keine Wertgebühren), sondern festgelegte Rahmengebühren. In durchschnittlichen Fällen fällt dabei jeweils die so genannte Mittelgebühr an.

Beispiel: Verteidigung in einer Strafsache im vorbereitenden Verfahren (gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaft)

Beispiel: Verteidigung in einer Strafsache im gerichtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht

Auch in Straf- und Bußgeldsachen kommen ggf. Auslagen hinzu, z.B. für Reisekosten, Akteneinsicht oder die Anfertigung von Kopien.

Was ist eine Abrechnung nach Zeitaufwand?

Anwälte und Mandanten können gemäß § 3a Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) eine von den gesetzlichen Gebühren abweichende Vergütung vereinbaren. In der Praxis wird hierbei meistens eine Abrechnung nach Zeitaufwand auf Basis eines Stundensatzes vereinbart. Der Stundensatz wird dabei individuell mit dem Mandanten vereinbart.

Wie hoch ist der Stundensatz eines Rechtsanwalts?

Der Stundensatz eines Rechtsanwalts kann zwischen den Parteien grundsätzlich frei vereinbart werden (bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit). Daher sind allgemeine Aussagen über die Höhe anwaltlicher Stundensätze nicht möglich. Es kommt hierbei z.B. auf den Kanzleisitz (Stadt oder Land), die Kanzleigröße und die Spezialisierung an. Nachfolgend finden Sie einige Quellen zu anwaltlichen Stundensätzen:

Der feste Stundensatz liegt nach Aussage der vom Soldan Institut befragten Anwälte durchschnittlich bei 182 €.

(Stundensätze deutscher Rechtsanwälte, Soldan Institut, AnwBl 7/2006, S. 473)

In vielen Rechtsgebieten lässt sich der wirtschaftliche Wert schwer bestimmen oder wird von den Gerichten als verhältnismäßig gering angesehen. Anwälte werden dann zumeist eine Vergütungsvereinbarung auf Stundensatzbasis oder die Vereinbarung eines angemessenen Streitwertes vorschlagen, damit sie ihre Expertise zu angemessenen Bedingungen einsetzen können. Welcher Stundensatz angemessen ist, ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.

Einflussfaktoren sind oft die Schwierigkeit der Sache, das Haftungsrisiko des Anwalts, die Spezialisierung, die Erfahrung und auch der berufliche Erfolg des Anwalts. Die Spannbreite kann ohne Weiteres von 120 bis 500 € reichen. Der Preis sagt aber nicht automatisch etwas über die Qualität der Beratung aus.

(Wie viel kostet ein Anwalt? - Anwaltverein Darmstadt und Südhessen e.V.)

“Anwälte, die kleinere Unternehmen aus dem lokalen Mittelstand beraten, rufen bis zu 250 Euro Stundenhonorar auf. Oft weit unter 100 Euro Stundenhonorar setzen dagegen Anwälte um, deren Mandanten vor allem Privatkunden und kleine Einzelhändler sind. Nach Erhebungen des Essener Instituts für Anwaltmanagement liegt der Stundensatz einer Einzelkanzlei zwischen 115 Euro und 166 Euro. Sozietäten mit mehr als 100 Anwälten rufen Stundensätze zwischen 290 Euro und 376 Euro auf. Der durchschnittliche Stundensatz aller deutschen Anwälte liegt bei 180 Euro.

(Anwaltsranking - Die besten Insolvenzverwalter der Republik - Handelsblatt.com vom 25.10.2011)

“Dabei wurden große Spannweiten genannt, z.B. für Einzelanwälte im Westen zwischen 50 und 200 EUR (im Osten zwischen 35 und 175 EUR; Quelle: Krämer, Pricing für Anwälte – Eckpunkte der Honorargestaltung, NJW-Beilage „Anwalt“ Heft 1-2/01, 26). An anderer Stelle werden in der Honorar-Anwaltsliteratur ortsübliche Stundensätze zwischen 200 bis 300 EUR genannt (HRA 8/05, 2). Auf der Grundlage einer Mandantenumfrage im Jahre 2003 werden Beiträge von 250 bis 350 EUR, durchschnittlich 279 EUR für Wirtschaftsanwälte genannt, die Mandanten bereit sind, für eine Partnerstunde auszugeben, im Einzelfall auch 500 bis 600 EUR (Hümmer, Die Honorarfalle, JUVE Rechtsmarkt 02/04, 18). Nach einer weiteren Umfrage im Jahr 2003 werden für Wirtschaftsmandate Durchschnittstundensätze von 277 EUR (für Partner einer Kanzlei 357 EUR, für Associates 244 EUR) pro Stunde genannt (ebenfalls JUVE Rechtsmarkt 02/04 a.a.O.).”

(So kalkulieren Sie den anwaltlichen Stundensatz richtig - IWW-Institut vom 01.03.2006)

Der Stundensatz variiert meistens zwischen 150 und 300 Euro, Spitzenkanzleien im Wirtschaftsrecht nehmen sogar bis zu 500 Euro pro Stunde.”

(Stundensätze bis zu 500 Euro - Sueddeutsche.de vom 19. Mai 2010)

Ein Stundensatz von bis zu 500 Euro für einen Anwalt ist nicht unbedingt “Wucher”. Das hat das Oberlandesgericht Koblenz klargestellt. Demnach darf ein Anwalt je nach den Umständen des Einzelfalles einem Mandanten durchaus so tief in die Tasche greifen (Az.: 5 U 1409/09).”

(Stolzer Anwalts-Stundensatz - n-tv.de vom 16.08.2010)

Auch in der Rechtsprechung werden Stundensätze von Rechtsanwälten immer wieder thematisiert:

Im Anschluss an die Rechtsprechung des OLG Koblenz, Urteil vom 26. April 2010, Az. 5 U 1409/09 sind Stundensätze von mindestens 250,00 € üblich, Stundensätze von bis zu 500,00 € sind daher je nach den Umständen des Einzelfalles nicht per se unangemessen, so auch hier bei der Wahrnehmung des Mandates in einem gegen den Beklagten geführten Steuerverfahren, bei dem es um den Vorwurf der Steuerhinterziehung sowie um Arrestverfahren in einem Gesamtbetrag von 275.000,00 € zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in die Immobilien des Beklagten ging. Angesichts der ersichtlich existenziellen Bedeutung für den Beklagten und der Dauer des seit 2006 geführten Ermittlungsverfahrens ist der geforderte Stundensatz von 300,00 € daher im Ergebnis nicht zu beanstanden und unterliegt nach Auffassung der Kammer nicht dem Verdikt der Sittenwidrigkeit.

(LG Frankenthal, Urteil vom 13. Januar 2011 – 4 O 303/10)

“Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Beklagte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch einen anderen Anwalt gefunden hätte, der mit ihm eine schlichte Stundenhonorarvereinbarung zu einem Stundensatz von jeweils 250 € - ohne besonderen Öffnungszusatz im Hinblick auf gegebenenfalls höhere gesetzlichen Gebühren - getroffen hätte.”

(OLG Hamm, Urteil vom 16.6.2009 - 28 U 1/09)

“Den hierbei angesetzten Stundensatz von 225,– € erachtet der Senat aus den bereits oben genannten Gründen für angemessen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine Kostenberechnung nach dem RVG hier nicht angemessen. Es ist gerichtsbekannt, dass eine Rechtsanwaltskanzlei mit aktien- und gesellschaftsrechtlichem Spezialwissen nicht nach RVG, sondern nur aufgrund Honorarvereinbarung auf der Basis von Stundensätzen abrechnet.”

(OLG München, Urteil vom 30.06.2010 – 7 U 1879/10)

Was sind die Vorteile der Abrechnung nach Zeitaufwand?

Die Abrechnung nach Zeitaufwand hat den Vorteil, dass nur der tatsächliche Arbeitsaufwand des Anwalts vergütet wird, und zwar unabhängig vom Streitwert. Eine Abrechnung nach Streitwert kann z.B. dazu führen, dass der Anwalt nach dem Gesetz für ein einziges Schreiben mehrere tausend Euro Honorar erhält. Geht es z.B. um einen Streitwert in Höhe von 150.000,- EUR, so beträgt die gesetzliche Vergütung (1,3 Geschäftsgebühr plus Auslagenpauschale plus Umsatzsteuer) ca. 3.000,- EUR. Das wird häufig als unfair empfunden. Auf der anderen Seite wird die gesetzliche Vergütung - gerade bei geringen Streitwerten - dem tatsächlichen Aufwand des Anwalts mitunter nicht gerecht.

Eine Abrechnung nach Zeitaufwand wird daher häufig fairer als die gesetzliche Vergütung empfunden. Für bestimmte Tätigkeiten (z.B. außergerichtliche Beratung, Gutachten) gibt es zudem keine gesetzliche Vergütung, in solchen Fällen soll nach dem Willen des Gesetzgebers ohnehin eine Vergütungsvereinbarung abgeschlossen werden.

Die Abrechnung nach Zeitaufwand ist zudem für Mandanten wesentlich einfacher nachzuvollziehen. Es gibt keinen Gegenstandswert, keine Gebührenziffern und Gebührenrahmen, sondern nur eine einfache Formel:

Honorar = Zeitaufwand x Stundensatz in EUR.

Was sind die Nachteile einer Abrechnung nach Zeitaufwand?

Die Abrechnung nach Zeitaufwand kann natürlich auch dazu führen, dass die Anwaltskosten im Verhältnis zum Streitwert sehr hoch ausfallen oder diesen sogar übersteigen. Bei Angelegenheiten mit geringem Streitwert kann dies dazu führen, dass die Beauftragung eines Anwalts nach Zeitaufwand für den Mandanten unwirtschaftlich ist. Der Mandant muss dann letztlich entscheiden, ob ihm seine Sache dies wert ist.

In welchem Zeittakt wird abgerechnet?

Der Zeittakt, nachdem abgerechnet wird, richtet sich ebenso wie der Stundensatz nach der Vergütungsvereinbarung zwischen Anwalt und Mandant. Nicht alles, was dort vereinbart wurde, hält vor Gericht Stand. Beispielsweise war es eine Zeit lang sehr verbreitet, jede angefangene 15 Minuten abzurechnen. Diese Vergütungspraxis wurde mittlerweile vom Bundesgerichtshof - jedenfalls gegenüber Verbrauchern - als unzulässig erachtet (BGH, Urteil vom 13.02.2020 - IX ZR 140/19).

Die Grenze für eine wirksame Zeittaktklausel liegt nach Auffassung des OLG München bei sechs Minuten (OLG München, Urteil vom 05. Juni 2019 – 15 U 318/18 Rae).

Sind außergerichtliche Zeithonorare vom Gegner erstattungspflichtig?

In bestimmten Fällen (z.B. Verzug, vertragliche Pflichtverletzung, Verkehrsunfallhaftung) besteht ein Anspruch auf Erstattung außergerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten (sog. materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch). In solchen Fällen kann der Mandant die vom Anwalt berechneten Gebühren und Auslagen gemäß Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) erstattet verlangen. Doch wie funktioniert das, wenn der Rechtsanwalt nicht nach dem RVG, sondern z.B. auf Zeithonorarbasis abrechnet?

Auch in diesem Fall besteht ein Kostenerstattungsanspruch, jedenfalls bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren nach dem RVG. Das hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 16.07.2015 klargestellt (BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14). Der vierte Leitsatz der Entscheidung lautet:

“Vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten in Form anwaltlichen Zeithonorars können als Schaden grundsätzlich bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren erstattet verlangt werden, weitergehende Kosten nur in besonderen Ausnahmefällen, wenn der Geschädigte dies nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für erforderlich und zweckmäßig halten durfte, wofür er darlegungspflichtig ist.”

(BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14)

Kann man auch den Gegenstandswert vereinbaren?

Häufig wird in einer Vergütungsvereinbarung ein Zeithonorar vereinbart, d.h. der Anwalt erhält eine Vergütung, die von seinem tatsächlichen Zeitaufwand abhängt. Dies ist aber nicht zwingend. Denkbar ist auch die Vereinbarung einer Abrechnung nach dem RVG, jedoch mit einem bestimmten Gegenstandswert, welcher von dem tatsächlichen Gegenstandswert abweicht. In einer Vergütungsvereinbarung können der Anwalt und sein Mandant grundsätzlich sowohl einen Gegenstandswert festlegen als auch Modifikationen des Faktors gesetzlicher Gebühren vereinbaren (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. 9. 2009 - 24 U 20/09, vgl. auch OLG Hamm AnwBl 1986, 452; LG Düsseldorf JurBüro 1991, 530).

Welche Einschränkung gilt in gerichtlichen Verfahren?

Eine wichtige Einschränkung gilt in gerichtlichen Verfahren. Dort ist es unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht (Verbot der Gebührenunterschreitung, vgl. § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO). In gerichtlichen Verfahren müssen daher immer mindestens die gesetzlichen Gebühren nach dem RVG gefordert werden.

Ist die Beratungsgebühr nach § 34 RVG auf die Höhe der Geschäftsgebühr begrenzt?

Es gibt Fälle, in denen die Beratungsgebühr nach § 34 RVG über den Kosten liegt, die für eine anschließende außergerichtliche Vertretung anfallen. In solchen Fällen stellt sich die Frage, ob die Kosten für die Beratung der Höhe nach auf die Kosten einer außergerichtlichen Vertretung begrenzt sind. Das AG Siegburg hat dies verneint und entschieden, dass die Beratungsgebühr auch in solchen Fällen in voller Höhe anfällt (AG Siegburg, Urteil vom 04.09.2015 - 105 C 34/15).

Muss ein Anwalt seinen Mandanten über die Höhe seiner Gebühren aufklären?

Das System der Rechtsanwaltsgebühren ist kompliziert, jedenfalls wenn nach den gesetzlichen Gebühren abgerechnet wird (RVG). Es gibt Gebührentabellen, Gebührensätze, Geschäftsgebühren, Einigungsgebühren, Mehrvergleich, Auslagen usw.

All diese Dinge sagen juristischen Laien regelmäßig nichts. Immer wieder kommt es zwischen Anwälten und Mandanten zum Streit, weil die Mandanten nach Abschluss einer Angelegenheit über die hohen Kosten überrascht sind. Die Frage ist also, ob ein Anwalt seinen Mandanten über konkrete Höhe der Gebühren aufklären muss.

Bei der Überlegung, ob ein Anwalt seinen Mandanten über die konkrete Höhe der Gebühren aufklären muss, ist zunächst festzustellen, dass dies in vielen Fällen überhaupt nicht möglich ist. Der genaue Verlauf eines Rechtsstreits kann häufig nicht vorhergesagt werden. Ob der Gegner z.B. Berufung einlegt, wie viele Gerichtstermine stattfinden oder ob später eine gütliche Einigung zu Stande kommt, ist meistens nicht vorhersehbar.

Daher sieht z.B. die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) auch nicht vor, dass der Rechtsanwalt seinen Mandanten über die am Ende anfallenden Gebühren aufklären muss. § 49b Absatz 5 BRAO schreibt Rechtsanwälten lediglich Folgendes vor:

“Richten sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert, hat der Rechtsanwalt vor Übernahme des Auftrags hierauf hinzuweisen.”

(§ 49b Abs. 5 BRAO)

Es handelt sich um eine berufsrechtliche Vorschrift, d.h. ein Rechtsanwalt handelt berufsrechtswidrig, wenn er nicht vor Übernahme des Auftrags auf eine Abrechnung nach Gegenstandswert hinweist. Die Vorschrift hat aber auch zivilrechtliche Auswirkungen: Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten vor Übernahme des Auftrags schuldhaft nicht darauf hinweist, dass sich die für seine Tätigkeit zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten, ist dem Mandanten zum Ersatz des hierdurch verursachten Schadens verpflichtet (BGH, Urteil vom 24. 5. 2007 – IX ZR 89/06).

Über § 49b Abs. 5 BRAO hinaus trifft den Rechtsanwalt jedoch keine Pflicht, auf die genaue Höhe der Kosten hinzuweisen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) klargestellt:

“Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Kläger nicht verpflichtet waren, die Beklagten vorab auf die Höhe der anfallenden Gebühren hinzuweisen.

Auf die durch einen Vertragsschluss kraft Gesetzes entstehenden Anwaltsgebühren muss der Rechtsanwalt regelmäßig nicht ungefragt hinweisen, weil kein Mandant ein unentgeltliches Tätigwerden des Fachberaters erwarten darf und dessen gesetzliche Gebühren allgemein zu erfahren sind. Nur auf Verlangen des Auftraggebers hat der Rechtsanwalt die voraussichtliche Höhe des Entgelts mitzuteilen.”

(BGH, Urteil vom 24. Mai 2007 – IX ZR 89/06)

Doch wie fast überall in der Juristerei gibt es keinen Grundsatz ohne Ausnahme, wie der BGH in derselben Entscheidung klargestellt hat:

“Allerdings kann sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles nach Treu und Glauben eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, auch ohne Frage des Auftraggebers diesen über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren, etwa wenn die Höhe der vom Auftraggeber zu zahlenden Gebühren das von ihm verfolgte Ziel wirtschaftlich sinnlos macht. Dabei sind bei der erforderlichen Gesamtwürdigung neben der Schwierigkeit und dem Umfang der anwaltlichen Aufgabe und dem Gegenstandswert auch die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten sowie dessen Vermögensverhältnisse und seine Erfahrung im Umgang mit Rechtsanwälten zu berücksichtigen. Letztlich hängt die anwaltliche Pflicht, den Auftraggeber vor Vertragsschluss über die voraussichtliche Höhe der Vergütung aufzuklären, entscheidend davon ab, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis des Mandanten erkennen konnte und musste.”

(BGH, Urteil vom 24. Mai 2007 – IX ZR 89/06)

Wie aus § 49b Abs. 5 BRAO und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hervorgeht, ist ein Anwalt also nur in bestimmten Ausnahmefällen verpflichtet, über die konkrete Höhe seiner Vergütung aufzuklären, z.B. wenn die Gebühren das wirtschaftliche Interesse des Mandanten “auffressen”.

Muss ein Rechtsanwalt dem Gegner eine Berechnung seiner Gebühren nach § 10 RVG übermitteln?

Fordert ein Rechtsanwalt den Gegner zur Erstattung seiner Gebühren auf, ist er nicht verpflichtet, dem Gegner eine Berechnung seiner Gebühren nach § 10 RVG vorzulegen. Zwar ist dort Folgendes geregelt:

“(1) Der Rechtsanwalt kann die Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Der Lauf der Verjährungsfrist ist von der Mitteilung der Berechnung nicht abhängig.

(2) In der Berechnung sind die Beträge der einzelnen Gebühren und Auslagen, Vorschüsse, eine kurze Bezeichnung des jeweiligen Gebührentatbestands, die Bezeichnung der Auslagen sowie die angewandten Nummern des Vergütungsverzeichnisses und bei Gebühren, die nach dem Gegenstandswert berechnet sind, auch dieser anzugeben. Bei Entgelten für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen genügt die Angabe des Gesamtbetrags.

(3) Hat der Auftraggeber die Vergütung gezahlt, ohne die Berechnung erhalten zu haben, kann er die Mitteilung der Berechnung noch fordern, solange der Rechtsanwalt zur Aufbewahrung der Handakten verpflichtet ist.”

(§ 10 RVG)

Die Vorschrift des § 10 RVG gilt allerdings nur im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, nicht aber im Verhältnis zum Gegner. Der Gegner kann daher die Zahlung von Rechtsanwaltskosten nicht mit dem Argument verweigern, ihm sei keine Berechnung nach § 10 RVG vorgelegt worden (vgl. BGH, Urteil v. 22. 3. 2011 − VI ZR 63/10; OLG Hamm , Urteil vom 10.12.2019 - 13 U 86/18; AG Düsseldorf, Urteil vom 08.05.2019 - 22 C 348/18; LG Frankfurt a. M. Urteil vom 29.11.2018 - 2-24 S 193/17; OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.7.2018 – 4 U 26/17; LG Frankfurt a. M., Urteil vom 10.01.2018 - 2-24 S 84/18).

Der BGH führt hierzu aus:

“Entgegen der Auffassung der Revision der Bekl. hat das BerGer. mit Recht einen Freistellungsanspruch des Kl. bejaht. Zwar weist die Bekl. zutreffend darauf hin, dass nach § 10 I 1 RVG der Rechtsanwalt die Vergütung grundsätzlich nur auf Grund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern kann. Diese Bestimmung betrifft jedoch lediglich die Frage, wann eine entstandene und nach § 8 I 1 RVG mit Erledigung des Auftrags oder Beendigung der Angelegenheit fällige Gebühr von dem Mandanten einforderbar ist (vgl. BGH, AnwBl 1985, 257  = BeckRS 1984, 31068688; Fraunholz, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., § 10 Rdnr. 3; Hartung/Schons/Enders, RVG, § 10 Rdnr. 1). Hiervon zu unterscheiden ist der im Streitfall geltend gemachte materiell-rechtliche Kostenerstattungsanspruch. Der Gegner kann hier nicht einwenden, dass er nicht zur Zahlung verpflichtet sei, weil ihm keine Berechnung vorgelegt worden sei, die den Anforderungen der § 10 RVG, § 14 UStG entspreche (vgl. etwa Hartung/Schons/Enders, § 10 Rdnr. 49). Dies betrifft lediglich das Innenverhältnis zum Mandanten. Dem Gebührenanspruch fehlt insoweit auch nicht – wie die Revision der Bekl. weiter meint – die Bestimmbarkeit der Höhe des Gebührenanspruchs. Denn jedenfalls unter den Umständen des Streitfalls, in welchem der mit der zu Grunde liegenden Angelegenheit beauftragte Rechtsanwalt den materiell-rechtlichen Gebührenanspruch für seinen Mandanten einklagt, hat er in der von ihm selbst verfassten Klageschrift von seinem Bestimmungsrecht i. S. des § 14 RVG hinreichend Gebrauch gemacht.”

(BGH, Urteil v. 22. 3. 2011 − VI ZR 63/10)

Auch das OLG München hat entschieden, dass die Vorschrift des § 10 Abs. 1 RVG, wonach ein Rechtsanwalt seine Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern kann, auf einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch keine Auswirkungen hat (OLG München, Urt. v. 23.5.2014 – 10 U 5007/13).

Erhöhen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten den Streitwert?

Wenn ein Rechtsanwalt zunächst vorgerichtlich tätig wird, fallen hierfür eigene Gebühren an (z.B. Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zuzüglich Telekommunikationspauschale zuzüglich Umsatzsteuer). Führen die vorgerichtlichen Bemühungen des Rechtsanwalts nicht weiter und ist eine Klageerhebung notwendig, wird der Kläger regelmäßig darauf bestehen, die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mit einzuklagen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten den Streitwert erhöhen.

Hierbei ist zu differenzieren:

Ein zusätzlicher Antrag auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus. Wird ein materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch neben der Hauptforderung, aus der er sich herleitet, geltend gemacht, ist er von dem Bestehen der Hauptforderung abhängig und stellt deshalb eine Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 ZPO dar, die den Streitwert nicht erhöht.

Werden die vorgerichtlichen Anwaltskosten dagegen alleine mit einer Klage geltend gemacht, ist der Streitwert natürlich nicht Null, sondern bemisst sich an der Höhe der Rechnung (netto oder brutto, je nachdem ob Vorsteuerabzugsberechtigung besteht oder nicht).

Wer zahlt im Zivilprozess die Rechtsanwaltskosten?

Im zivilgerichtlichen Verfahren ist diese Frage recht einfach zu beantworten: Hier gilt der Grundsatz, dass die unterlegene Partei die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen muss. Das gilt auch für die Rechtsanwaltskosten (§ 91 ZPO).

Wichtig ist aber zu wissen, dass man als Mandant gegenüber seinem Rechtsanwalt zunächst selbst zur Zahlung des Anwaltshonorars verpflichtet ist. Aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss kann man dann aber vom Gegner die Erstattung verlangen.

Wer zahlt außerhalb eines Zivilprozesses die Rechtsanwaltskosten?

Etwas komplizierter ist die Situation außergerichtlich. Hier stellt nämlich kein Gericht fest, wer die Kosten übernehmen muss. Wer also außergerichtlich einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt, kann die Kosten hierfür nicht in jedem Fall ersetzt verlangen. Hierfür ist ein „materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch“ gegen den Gegner erforderlich.

Auch hier gilt, dass man als Mandant gegenüber seinem Rechtsanwalt zunächst selbst zur Zahlung des Anwaltshonorars verpflichtet ist. Soweit aber ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch vorhanden ist, kann man die Kosten vom Gegner erstattet verlangen.

Wann besteht ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch?

Ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch kann sich aus einer Schadensersatzverpflichtung, in selteneren Fällen auch aus einer vertraglichen Beziehung ergeben.

Wann kann man Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz ersetzt verlangen?

Die wichtigste Grundlage für die Erstattung von außergerichtlichen Anwaltskosten sind Schadensersatzansprüche. Dabei ist zwischen Schadensersatzansprüchen im Allgemeinen und zwischen Verzugsschäden zu unterscheiden.

Geltendmachung von allgemeinen Schadensersatzansprüchen

Hat ein Geschädigter einen Schadensersatzanspruch, so darf er regelmäßig einen Rechtsanwalt außergerichtlich mit der Prüfung und Durchsetzung dieses Anspruchs beauftragen und diese Kosten vom Schädiger erstattet verlangen. Das gilt sowohl für deliktische Schadensersatzansprüche (z.B. aus einem Verkehrsunfall) als auch bei der Verletzung (vor)vertraglicher Pflichten (BGH, Urteil vom 10. Januar 2006 – VI ZR 43/05; BGH, Urteil vom 30. April 1986 – VIII ZR 112/85; BGH, Urteil vom 25. Februar 1972 – V ZR 74/69; BGH, Urteil vom 21. Oktober 1969 – VI ZR 86/68; BGH, Urteil vom 01. Oktober 1968 – VI ZR 159/67; BGH, Urteil vom 31. Januar 1963 – III ZR 117/62; BGH, Urteil vom 01. Juni 1959 – III ZR 49/58; BGH, Urteil vom 22. Januar 1959 – II ZR 321/56).

Geltendmachung von Verzugsschäden

Ein typischer Fall, in dem ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch besteht, ist der Verzug des Schuldners. Befindet sich der Schuldner mit einer Leistung in Verzug, so soll mit der Einschaltung eines Rechtsanwalts der Forderung Nachdruck verliehen werden. Der Gläubiger der Forderung darf dann die Kosten des Rechtsanwalts erstattet verlangen (BGH, Urteil vom 17. September 2015 – IX ZR 280/14).

Hat man auch einen Kostenerstattungsanspruch, wenn man einen Rechtsanwalt mit der Abwehr einer Schadensersatzforderung beauftragen muss?

Ein Rechtsanwalt wird nicht nur beauftragt, um Forderungen gegen andere durchzusetzen. In vielen Fällen nehmen sich Mandanten auch einen Anwalt, weil Sie mit einer Forderung konfrontiert werden, insbesondere wenn das Schreiben selbst von einem Rechtsanwalt kommt.

Bei der Abwehr von Schadensersatzansprüchen geht die Rechtsprechung regelmäßig nicht von einem Kostenerstattungsanspruch aus. Es gehöre vielmehr zum allgemeinen Lebensrisiko, mit einem unberechtigten Schadensersatzverlangen konfrontiert zu werden (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 224/05).

Ein Kostenerstattungsanspruch kann sich aber ausnahmsweise aus bestehenden Schuldverhältnissen (z.B. Vertrag) ergeben, wenn sich die Gegenseite zu Unrecht eines Anspruchs oder eines Rechts berühmt (BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 – V ZR 133/08).

Wann gibt es einen vertraglichen Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten?

Vertragliche Ansprüche auf Erstattung von Anwaltskosten gibt es in den meisten Fällen nicht. Eine Erstattung auf vertraglicher Basis kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht.

Beispielsweise kann sich aus einem Versicherungsvertrag ein Erstattungsanspruch gegen den Versicherer ergeben, wenn der Versicherungsnehmer wegen mangelnder Geschäftsgewandtheit, Krankheit oder Abwesenheit seine Ansprüche nicht selbst anmelden kann (BGH, Urteil vom 10. Januar 2006 – VI ZR 43/05).

Außerdem kann sich ein Kostenerstattungsanspruch daraus ergeben, dass man von einem Gegner zu Unrecht mit einer Forderung konfrontiert wird und zu diesem Gegner eine Beziehung aus einem Schuldverhältnis besteht (z.B. aus einem Vertrag, vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 – V ZR 133/08).

Was hat es mit dem Gebot der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit auf sich?

In allen Fällen gilt der übergreifende Grundsatz der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts muss zum Zeitpunkt der Beauftragung („ex-ante-Sicht“) erforderlich und zweckmäßig gewesen sein.

Wann ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig?

Ob die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig ist, kann man nicht allgemein sagen. Die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit hängen dabei von der Person des Geschädigten, des Schädigers sowie der Schwierigkeit der Angelegenheit ab. Dies ist vom Tatrichter aufgrund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH, Urteil vom 09. März 2011 – VIII ZR 132/10)

In der Rechtsprechung haben sich jedoch einige Fallgruppen zu der Frage entwickelt, wann die Einschaltung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig ist oder nicht.

Kein Kostenerstattungsanspruch, wenn Schädiger leistungsbereit ist

Die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Geschädigten ist dann nicht mehr erforderlich und zweckmäßig, wenn überhaupt keine Zweifel an der Leistungsbereitschaft des Schädigers bestehen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 73/04; BGH, Urteil vom 08. November 1994 – VI ZR 3/94)

Kostenerstattungsanspruch aus dem Gebot der Waffengleichheit

Die Beauftragung eines Rechtsanwalts ist regelmäßig erforderlich und zweckmäßig, wenn für den Schädiger bereits ein Rechtsanwalt tätig wird („Gebot der Waffengleichheit", BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 – IX ZR 110/10; BGH, Urteil vom 30. April 1986 – VIII ZR 112/85)

Dieser Grundsatz gilt auch für Syndikusanwälte (Unternehmensanwälte) auf der Gegenseite (OLG Düsseldorf NJW-RR 2003, 566).

Kostenerstattungsanspruch bei Verkehrsunfällen

Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls darf grundsätzlich zur Regulierung seiner Ansprüche einen Rechtsanwalt einschalten (OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 02. Dezember 2014 – 22 U 171/13).

Anders kann dies zum Beispiel sein, wenn ein Unternehmen mit großem Fuhrpark geschädigt ist (z. B. professionelle Vermieterin von Nutzfahrzeugen)  (AG Stuttgart, Urteil vom 18. Oktober 2012 – 41 C 5500/11).

Kein Kostenerstattungsanspruch bei einfach gelagerten Fällen

Die Frage, ob die Einschaltung eines Anwalts erforderlich und zweckmäßig ist, hängt auch von der Schwierigkeit der jeweiligen Angelegenheit ab (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 – VIII ZR 277/11; BGH, Urteil vom 30. April 1986 – VIII ZR 112/85).

Demnach ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts nicht erforderlich und zweckmäßig, wenn beim Geschädigten keine vernünftigen Zweifel über Haftungsgrund und Haftungshöhe bestehen können (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 175/05; BGH, Urteil vom 08. November 1994 – VI ZR 3/94).

Anders ist dies aber in Verzugsfällen zu sehen. Denn hier soll durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts der Forderung besonderer Nachdruck verliehen werden. Hier ist die Komplexität einer Angelegenheit nicht entscheidend (BGH, Urteil vom 17. September 2015 – IX ZR 280/14).

Kein Kostenerstattungsanspruch bei mangelnden Erfolgsaussichten

Die Einschaltung eines Rechtsanwalts ist auch dann nicht erforderlich und zweckmäßig, wenn der Schuldner ernsthaft und endgültig zahlungsunwillig oder zahlungsunfähig ist und dies dem Gläubiger bekannt ist. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs aus anderen Gründen erfolgversprechend erscheint (BGH, Urteil vom 17. September 2015 – IX ZR 280/14; BGH, Urteil vom 26. Februar 2013 – XI ZR 345/10)

Der Gegner ist selbst Rechtsanwalt, muss man auch dann die Rechtsanwaltskosten erstatten?

Besondere persönliche Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten sind nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2013 – VI ZR 528/12; BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13; BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 – VI ZR 73/04; BGH, Urteil vom 07. Mai 1996 – VI ZR 138/95)

Soweit beim Geschädigten einschlägiges Fachwissen vorhanden ist (z. B., weil der Geschädigte selbst Rechtsanwalt ist), ist dieses Fachwissen einzusetzen (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 – VI ZR 175/05 zur Abmahnung bei unerwünschter Telefonwerbung). Insoweit entstandene Kosten sind dann nicht erstattungsfähig.

Fällt bei einem Rechtsanwalt, der sich selbst in eigener Sache vertritt, Umsatzsteuer an?

Mitunter müssen Rechtsanwälte auch in eigener Sache tätig werden, z.B. wenn ausstehendes Honorar nicht bezahlt wird und eingeklagt werden muss. In diesem Fall stellt sich dann schnell die Frage, ob im Rahmen der Kostenfestsetzung auch die Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) mit beantragt werden muss.

Bei sog. Innengeschäften entsteht keine Umsatzsteuer. Der BGH führt hierzu aus:

“Wird ein Rechtsanwalt in eigener Sache tätig, liegt kein steuerbarer Umsatz vor, wenn die Angelegenheit zu seinem beruflichen Bereich gehört. Eine solche Tätigkeit ist keine umsatzsteuerbare sonstige Leistung gegen Entgelt für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen (§ 3 Abs. 9a UStG), sondern unterfällt als sog. Innengeschäft nicht der Umsatzsteuer (vgl. OLG Hamburg MDR 1999, 764; OLG Hamm AnwBl. 2002, 249, 250; OLG München MDR 2003, 177; KG RVGreport 2004, 354, 355; AnwK-RVG/Schneider, VV 7008 Rdn. 11; Hartung/Römermann, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, VV Teil 7 Rdn. 67, jeweils m.w.N.).”

(BGH, Beschluss vom 25. November 2004 - I ZB 16/04)

Ein Innengeschäft liegt vor, wenn der Rechtsanwalt im Zusammenhang mit seiner anwaltlichen Tätigkeit in eigener Sache tätig wird, z.B. beim Einklagen von Honoraransprüchen. Das Berliner Kammergericht führt hierzu aus:

“In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass kein steuerbarer Umsatz vorliegt, wenn ein Rechtsanwalt in eigener Sache tätig wird, soweit die Angelegenheit zu seinem beruflichen Bereich gehört. Eine solche Tätigkeit ist keine umsatzsteuerbare sonstige Leistung gegen Entgelt für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen, sondern unterfällt als sogenanntes Innengeschäft nicht der Umsatzsteuer.”

(KG Berlin, Beschluss vom 23. April 2009 – 2 W 57/09)

Bei sog. Außengeschäften fällt dagegen Umsatzsteuer an. Im Gegensatz zu Innengeschäften wird der Rechtsanwalt bei einem Außengeschäft nicht “im Zusammenhang mit seiner anwaltlichen Tätigkeit” tätig. Er vertritt sich vielmehr selbst als Privatperson, wie z.B. bei einem Pferdekauf:

“Der Rechtsstreit im Zusammenhang mit dem Pferdekauf des Klägers betraf nämlich eine private Angelegenheit des Klägers. Der in eigener Sache tätige Rechtsanwalt kann eine Erstattung der Mehrwertsteuer nach § 25 II BRAGO beanspruchen, wenn der Rechtsstreit eine private Angelegenheit betrifft (OLG Stuttgart JurBüro 1986, Sp. 443; OFD Düsseldorf, Schreiben vom 15.02.1982 – S 7102 B-St 153 –, AnwBl 1982, 193 mwN, Göttlich/Mümmler, BRAGO, 17. Auflage, Ziff. 6.2 “Umsatzsteuer”). Sofern ein Rechtsanwalt sich in einer privaten Sache selbst vertritt, entstehen nämlich – anders als bei Selbstvertretung in beruflichen Angelegenheiten – infolge des Abzugsverbots als Betriebsausgabe nach § 12 Nr. 3 EStG Kosten in Höhe der an das Finanzamt abzuführenden Umsatzsteuer für den Eigenverbrauch nach §§ 1 I Nr. 2 b, 10 IV Nr. 2 UStG. Ein Eigenverbrauch nach § 1 I Nr. 2 b UStG liegt vor, da der Rechtsanwalt bei Selbstvertretung in privaten Angelegenheiten als Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens Leistungen für Zwecke außerhalb seines Unternehmens ausführt.”

(OLG Köln, Beschluss vom 06. Mai 1992 – 2 W 40/92)

Sind die Anwaltskosten für ein vorgerichtliches Aufforderungsschreiben erstattungsfähig?

Sofern ein materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch besteht, sind die Anwaltskosten für ein vorgerichtliches Aufforderungsschreiben grundsätzlich erstattungsfähig. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der Rechtsanwalt bereits mit einer Klage beauftragt wurde und lediglich vor Klageerhebung noch einmal vorgerichtlich zur Leistung auffordert.

“Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Hierbei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2015 - IV ZR 169/14 Rn. 12, NJW-RR 2016, 511; Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14 Rn. 8, NJW 2015, 3793; Urteil vom 18. Januar 2005 - VI ZR 73/04 , NJW 2005, 1112, juris Rn. 6; jeweils m.w.N.).

Ein Schadensfall in diesem Sinne liegt vor, wenn der Schuldner einer Entgeltforderung in Zahlungsverzug gerät. Zur Beitreibung einer solchen Forderung ist dann regelmäßig selbst in einfach gelagerten Fällen die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig. Das seinerseits Erforderliche tut der Gläubiger dadurch, dass er den Schuldner in Verzug setzt. Eine weitere Verzögerung der Erfüllung seiner Forderung muss er nicht hinnehmen. Vielmehr kann er seinem Erfüllungsverlangen durch Einschaltung eines Rechtsanwalts Nachdruck verleihen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14 Rn. 9, NJW 2015, 3793).”

[…]

Allein die Tatsache, dass ein Schuldner auf Zahlungsaufforderungen des Gläubigers nicht reagiert, führt entgegen der Auffassung der Revision nicht dazu, dass eine außergerichtliche Zahlungsaufforderung durch einen Rechtsanwalt nicht als nicht erfolgversprechend anzusehen ist. Insbesondere in Fällen, in denen - wie hier - der Grund für die Nichtzahlung im Dunkeln bleibt, ist die Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts zweckmäßig (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14 Rn. 11, NJW 2015, 3793)."

[…]

Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 15. August 2019 - III ZR 205/17 Rn. 43,WM 2019, 1833; Urteil vom 26. Februar 2013 - XI ZR 345/10 Rn. 37, BKR 2013, 283; jeweils m.w.N.)."

(BGH, Urteil vom 24.02.2022 – VII ZR 320/21)

Der Bundesgerichtshof verneint außerdem einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, wenn in dem vorgerichtlichen Aufforderungsschreiben bereits eine Klageerhebung in Aussicht gestellt wird (BGH, Urteil vom 22.06.2021 - Az. VI ZR 353/20).

Fallen auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten Verzugszinsen an?

Beim Inkasso durch einen Rechtsanwalt fallen regelmäßig vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten für ein anwaltliches Mahnschreiben an. Wenn der Schuldner hierauf immer noch nicht zahlt, muss eine Zahlungsklage erhoben werden oder ein gerichtliches Mahnverfahren beantragt werden. Spätestens dann stellt sich die Frage, ob und in welcher Höhe die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verzinslich sind.

Damit überhaupt Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gefordert werden können, ist ein Schuldnerverzug nach § 286 BGB erforderlich. Häufig werden die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten direkt im anwaltlichen Mahnschreiben als Nebenforderung mit geltend gemacht und es wird dem Schuldner eine Zahlungsfrist gesetzt. Dann können auch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ab Fristablauf Zinsen berechnet werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Rechtsanwalt erst nach Eintritt des Verzugs eingeschaltet wird. Denn wenn der Schuldner erst durch das Anwaltsschreiben in Verzug gesetzt wird, können die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht als Verzugsschaden erstattet werden (und damit auch keine Zinsen hierauf).

Der Verzugszins beträgt gemäß § 288 Abs. 1 S. 2 BGB für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Dieser Zinssatz kann also, wenn Verzug vorliegt, auch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnet werden.

Bis zu welchem Gegenstandswert muss der Gegner vorgerichtliche Anwaltskosten erstatten?

Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 05.12.2017 ist für den Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht. Dabei ist auf die unstreitige oder letztlich gerichtlich festgestellte Schadenshöhe abzustellen (BGH, Urteil vom 05.12.2017 - VI ZR 24/17).

Was gilt bei einer nachträglichen Änderung des Gegenstandswerts?

In zivilrechtlichen Angelegenheiten gilt: Je höher der Gegenstandswert bzw. Streitwert, desto höher die Rechtsanwaltsgebühren. Das ergibt sich aus § 2 RVG:

“(1) Die Gebühren werden, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, nach dem Wert berechnet, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit hat (Gegenstandswert).

(2) Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Gebühren werden auf den nächstliegenden Cent auf- oder abgerundet; 0,5 Cent werden aufgerundet.”

(§ 2 RVG)

Doch welcher Zeitpunkt ist für die Wertberechnung heranzuziehen? Maßgeblich ist der der Zeitpunkt, in dem der jeweilige Gebührentatbestand durch die Tätigkeit gemäß Auftrag ausgelöst wird (vgl. z.B. Bischof / Jungbauer / Bräuer / Klipstein / Klüsener / Kerber: RVG, 8. Auflage 2018, § 2 Rnr. 24).

Nach § 15 Abs. 2 RVG gilt:

“Der Rechtsanwalt kann die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern.”

(§ 15 Abs. 2 RVG)

Der Gebührentatbestand (z.B. die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG) kann im Laufe einer Angelegenheit allerdings mehrfach ausgelöst werden. Ändert sich der Wert des Gegenstandes während der Tätigkeit und löst die Tätigkeit erneut die Gebühr aus, so ist der höchste Wert des Zeitraums der Tätigkeit maßgeblich (vgl. z.B. Schneider/Wolf RVG 7. Aufl. § 2 Rn. 34).

Das heißt also: Wenn sich bei einer außergerichtlichen Vertretung der Gegenstandswert bzw. Streitwert ändert, gilt der höchste Wert innerhalb des Tätigkeitszeitraums.

Für gerichtliche Verfahren gilt übrigens § 40 GKG:

“Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet.”

Wie erfolgt die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei unterschiedlich hohen Streitwerten?

Nach der Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG wird eine außergerichtliche Geschäftsgebühr, die wegen desselben Gegenstands nach Teil 2 entsteht, zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.

Es kommt aber mitunter vor, dass die Streitwerte (Gegenstandswerte) vorgerichtlich und gerichtlich unterschiedlich hoch sind. Dann stellt sich die Frage, aus welchem Streitwert die Anrechnung zu erfolgen hat.

Beispiel 1: Ein Rechtsanwalt wird beauftragt, außergerichtlich eine Forderung von 20.000,- € geltend zu machen. Auf ein Forderungsschreiben des Rechtsanwalts zahlt der Gegner aber nur 10.000,- €. Der Rechtsanwalt erhält daher den Auftrag, die verbleibenden 10.000,- € einzuklagen.

Lösung: Außergerichtlich ist hier eine Geschäftsgebühr nach dem Wert von 20.000,- € entstanden. In das gerichtliche Verfahren ist allerdings nur ein Wert von 10.000,- € übergegangen. Nur aus diesem Wert entsteht die 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG. Anzurechnen ist daher auch nur die Hälfte der Geschäftsgebühr aus einem Wert von 10.000,- €.

Beispiel 2: Ein Rechtsanwalt wird beauftragt, außergerichtlich eine Forderung von 10.000,- € geltend zu machen. Auf ein Forderungsschreiben des Rechtsanwalts erfolgt keine Zahlung. Der Rechtsanwalt erhält daher den Auftrag, die 10.000,- € zuzüglich weiterer 5.000,- € (die bislang noch nicht geltend gemacht wurden) einzuklagen.

Lösung: In diesem Beispiel erfolgt die Anrechnung auf Grundlage des vollen Streitwerts für die außergerichtliche Tätigkeit. Denn der vorgerichtlich geltend gemachte Anspruch ist in dem Klageantrag vollständig mit enthalten. Die Anrechnung hat also aus einem Wert in Höhe von 10.000,- € zu erfolgen.